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Hierarchie

Ich mag Hierarchie absolut nicht. Jedenfalls nicht in der Form, wie es allgemein im Kontext von Beziehungen auftaucht. So wie auch mit Labeln fühle ich mich nicht wohl mit einer inhärenten Hierarchie in Beziehungen. Weder wenn sie zwischen verschiedenen Beziehungsstrukturen und Arten besteht, noch zwischen spezifischen Beziehungen oder Menschen.
Ich glaube nicht, dass, nur weil jemand einen spezifische Rolle in meinem Leben einnimmt, oder diese Rolle für eine bestimmte Zeit eingenommen hat, oder auch einfach nur länger als jemand anderes, dieser Mensch automatisch wichtiger, besonderer, oder gar wertvoller wird. Dieser Mensch bekommt keine spezielle Auszeichnung oder Position, die ihn über jeden anderen stellt. Ich glaube nicht, dass zuerst da zu sein einschließt, zuerst zu kommen - ganz bestimmt nicht für immer.

Es ist nicht inhärent mehr Wert in einer romantischen oder sexuellen Beziehung als in einer platonischen, oder andersrum. Zeit ist nichts, das einer Beziehung automatisch mehr Wert zukommen lässt. Niemand hat mehr Rechte an mir oder meinem Leben als jemand anderes, nur weil er schon länger Teil meines Lebens ist als dieser andere Mensch. Hierarchie, so wie sie im Kontext von Beziehung allgemein gemeint ist, beinhaltet in der Regel aber mindestens eins dieser Dinge, oft sogar jedes einzelne davon. Ich verstehe nicht, warum Zeit oder die Art einer Beziehung eine Hierarchie implizieren sollte.

Anders als manche glaube ich nicht, dass es keine Hierarchie geben sollte, oder gibt. Ich denke, es gibt eine, zumindest ist das für mich wichtig - einfach, weil ich nicht mit jedem Fremden auf der Straße so interagieren will und kann, wie ich das mit Menschen tue, mit denen ich mein Leben teile, denen ich nahe stehe und die ich auf die eine oder andere Art liebe. Entsprechend gibt es eine Hierarchie in den Verbindungen, die ich eingehe, sie ist nur nicht inhärent. Wie mit Labeln auch, handelt es sich um eine deskriptive Hierarchie, nicht präskriptive. Die Hierarchie in meinen Beziehungen ergibt sich aus Nähe, commitment, was geteilt wird und werden soll, Vertrauen und einigen anderen Dingen. Sie ist offen für Veränderungen und fluktuiert eigentlich ständig. Sie erkennt Veränderung an, und erlaubt Menschen dennoch, zu wissen, wo sie stehen - es geht also nicht um situative Launen, obwohl unterschiedliche Situationen sehr sicher zu unterschiedlichen Hierarchien in dem Moment führen. Für mich sind Hierarchien also schon vorhanden, aber sie existieren nur in diesem Moment, werden in diesem Moment erfasst, und nicht schon vorher festgelegt.

Ich glaube fest daran, dass Hierarchie auf eine Art und Weise gelebt werden kann, die nicht schädlich ist für jene, die davon betroffen sind. Wenn offen darüber gesprochen wird, und andere nicht einfach abgeschrieben werden, nur weil sie weiter unten in der Hackordnung stehen, kann es sicherlich wundervoll und erfüllend sein für jeden einzelnen, der in diesen Strukturen lebt. Ich freue mich für jene, die es solcherart leben und bin nicht dagegen. Im Gegenteil, wenn sie sich damit wohl fühlen und glücklich sind, und jeder Mensch wie ein Mensch behandelt wird, ist das hervorragend. Ich bin nicht sicher, ob diese Art von Strukturen etwas wären, in dem ich mich wohl fühlen kann, aber ich bin sicher, dass es Menschen sind, die das können - und zwar nicht nur als primary.
Allerdings sehe ich Hierarchien sehr häufig als Mittel, die Dinge zu vereinfachen, und Menschen einfach abzuschreiben, die nicht primary sind. Um sie auf eine Weise zu behandeln, die weit unter Freunden steht. Das ist aber kein Problem von Hierarchie an sich, denke ich, sondern vielmehr ein Problem, dass ich mit Hierarchie sehe. Die Lösung dafür besteht allerdings nicht unbedingt darin, Hierarchie an sich zu verdammen, sondern darin, sich dessen bewusst zu sein und sich selbst kritisch zu hinterfragen. Rücksichtsvoll, besonnen und emphatisch jedem gegenüber zu sein.

Für mich macht eine präskriptive Hierarchie keinen Sinn, weil ich das Gefühl habe, dass es zu viel von meinem Glück, meiner Freiheit und Autonomie nimmt. Veränderung ist ein inhärenter Teil meines Weltbildes und meiner Persönlichkeit, weswegen präskriptive Hierarchie für mich unpassend ist. Allerdings glaube ich nicht, dass sie inhärent schlecht oder falsch ist, es ist nur leicht, sie falsch auszuleben.

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