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Wer ich bin

Mehr als drei Jahre bin ich mir nun bewusst darüber, polyamorous zu sein und lebe in entsprechenden Beziehungen. Fast ebenso lange identifiziere ich mich als relationship anarchist, und für mich fühlt es sich an, als gehörten beide Konzepte natürlich zusammen, auch wenn das natürlich nicht der Fall ist.

Es war kein besonders langer Weg für mich, diese beiden Beziehungskonzepte für mich als passend zu finden, aber hart war er dennoch. Ich war mir schon recht früh darüber bewusst, dass Monogamie nichts für mich ist, hatte aber nicht die richtigen Worte dafür und schon gar nicht die richtigen Menschen, um darüber zu sprechen.
Monogamie war nicht nur einfach Standard, sondern darüber hinaus scheinbar auch die einzige Option. Sogar einfach Sex zu haben war meist keine Option, und es gab nicht nur eine Beziehung, in der ich mich wiederfand, weil die Person, mit der ich Sex hatte beides verknüpft hatte und jedem, den ich kannte, erzählte, dass wir nun in einer vollwertigen Beziehung seien. Offenbar schien nicht einmal „casual“ zu existieren, nicht einmal, wenn vorher darüber gesprochen wurde.
Ich hab irgendwann angefangen, Menschen zu erzählen, dass ich nicht mono sei, fand aber sehr bald heraus, dass sie mir nie wirklich glaubten und verletzt waren, wenn ich Gefühle für jemand anderen entwickelte, weil sie offensichtlich geglaubt hatten, „der eine“ Mensch zu sein und entsprechend davon ausgingen, dass ich mich für bzw. wegen ihnen verändern würde. Irgendwann zwischen all diesen Erlebnissen begann ich, meine Fähigkeit zu lieben zu bezweifeln, zumal meine Kindheit das definitiv plausibel machen würde.

Als ich die Person traf, mit der ich dann schließlich zu polyamory gekommen bin, habe ich ihn ebenfalls darauf hingewiesen, dass ich nicht monogam bin, und er entschied, dass er nicht sicher sei, ob er damit umgehen könnte, er es aber ausprobieren wollte. Jahrelang hab ich keine Gefühle für andere Menschen entwickelt, und ich bin heute noch nicht sicher, ob einfach zu viel los gewesen ist, oder ob ich mir selbst verboten habe, mich wirklich umzusehen. Über die Jahre bin ich jedenfalls allgemein auch kaum Verbindungen mit neuen Menschen eingegangen.
Vier Jahre waren wir faktisch mono miteinander, als er sich dann schließlich in eine gemeinsame Freundin verliebt hat. Wir haben darüber gesprochen, ich bin der reddit community beigetreten, habe Bücher und blogs gelesen, und allgemein jede Information in mich aufgesogen, die ich bekommen konnte. Mein Weltbild und auch meine Art, an Beziehungen heranzugehen, hat sich geändert in all dieser Flut an Information.. ich habe mich endlich verstanden und nicht mehr kaputt gefühlt, zugehörig. Und war mir endlich klar darüber, wie ich meine Beziehungen gern leben möchte, und habe auch wieder begonnen, Verbindungen mit Menschen einzugehen.
Die Beziehung selbst hat noch etwa zwei Jahre länger gehalten, aber schon während der ersten Transition in die neuen Strukturen sind Dinge zwischen uns massiv kaputt gegangen, die schon vorher stark gelitten hatten. Als es dann zusätzlich klar wurde, dass wir sehr unterschiedliche Ansichten zu Beziehungen haben, und wie wir sie gestalten wollen, weil ich mich Hals über Kopf in einen meiner jetzigen Partner verliebt habe, brach die ganze Beziehung um uns herum zusammen. Dennoch brauchte ich noch etwas mehr Zeit, um mich schließlich dafür zu entscheiden, dass es das nicht wert sei und mich zu trennen.

Ich habe sehr viel gelernt in diesen ersten Jahren. Ich bin unglaublich gewachsen. Und ich habe ein Lebensglück gefunden, von dem ich nie geglaubt hätte, dass es möglich wäre.
Meine Version von polyamory hat einen sehr starken Anteil von relationship anarchy. Ich habe gelernt, dass ich möchte, dass meine Beziehungen jeglicher Art sich ganz natürlich entwickeln können. Ich will nicht, dass sie spezifischen Skripten oder Regeln folgen, und ich will, dass sie in der Situation entstehen, wir sie gemeinsam wachsen lassen. Sie sollten sich in jedem einzelnen Moment richtig anfühlen für jene Menschen, die daran beteiligt sind, weswegen sie offen für Veränderung sein und sich anpassen sollten, wenn es nötig ist. Ich will mit Menschen Verbindungen eingehen, wenn ich ihnen begegne, wie wir es in diesem Moment für passend empfinden. Ich will Autonomie haben, und ich will auch, dass die Menschen, die mir nah sind, autonom sind.
Ich will Verbindlichkeit in jenen Verbindungen, in denen sie gewünscht ist. Aber Verbindlichkeit bedeutet für mich nicht, dass sich nichts jemals ändern wird. Es wird sich verändern. Verbindlichkeit bedeutet, dass ständig darüber gesprochen wird, dass ich Menschen erzähle, wenn sich Dinge verändern und das gleiche von ihnen möchte. Es geht darum, zu wissen, wie man gerade zueinander stehen möchte. Es geht um Zuhören, und darum, Veränderung anzunehmen. Es geht darum, Wege zu finden, diese Veränderungen dann einzubeziehen und zusammenzubringen.
Für mich sind die Menschen in einer Beziehung, und damit eben ihr Glück, deutlich wichtiger als die Beziehung an sich. Sie sollte nicht um jeden Preis gerettet werden. Sie sollte auch nicht einfach weggeworfen werden.
Für mich geht es dabei um Ehrlichkeit – nicht nur den Menschen gegenüber, mit denen man verbunden ist, sondern auch einem selbst gegenüber. Ich muss mit mir selbst ehrlich sein, damit ich anderen gegenüber ehrlich sein kann. Manchmal lieben wir Menschen, mit denen wir nicht in einer glücklichen Liebesbeziehung sein können, selbst wenn wir gern würden. Es braucht Mut, um zu entscheiden, dass Menschen wichtiger sind als Beziehungen, und auch wenn beide gern würden, es nicht gut wäre. Verbindungen sollten positiv und erfüllend sein für jene, die verbunden sind. Wenn sie es nicht sind, sollten Menschen ehrlich zu sich selbst sein und entweder einen Weg finden, auf dem sie es sind, oder sie beenden. Zumindest ist das mein Standpunkt dazu.

Heute habe ich zwei verbindliche, romantische, tiefe Liebesbeziehungen, die sehr stark zu meinem Leben beitragen. Beide dieser Menschen tragen unglaublich zu meinem Glück bei.
Einer der beiden hat eine ähnlich tiefe Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen, den ich auch sehr schätze. <3
Zudem habe ich noch einen queer platonic partner, der mir sehr nah steht und wichtig ist.
Außerdem ist da noch meine beste Freundin, die so viel mehr ist als das, aber kein Label passt wirklich.
Jeder einzelne dieser Menschen steht mir sehr nah, und ist Familie für mich. Ich bin dankbar dafür, mein Leben mit ihnen teilen zu dürfen.

Es gibt noch andere, einige von ihnen haben Label, andere nicht. Jeder einzelne davon bedeutet mir viel, wenn mich mit jedem von ihnen auch unterschiedliche Grade von Nähe und Zuneigung verbinden. Jeder einzelne davon ist wichtig. Niemals zuvor war mein Leben so voll.

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