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Erwartungen

Erwartungen sind schwierig.
Ich mag sie nicht.
Erwartungen führen dazu, dass wir Dinge für selbstverständlich halten, die gar nicht selbstverständlich sind. Und das wiederum führt dazu, dass wir nicht mehr zu schätzen wissen, wenn diese Dinge erfüllt werden. Es geht ja gar nicht anders, es muss so sein. Wozu es aber auch führt, ist, dass wir den Menschen, die unsere Erwartungen nicht erfüllen, Vorwürfe machen. Wir geben ihnen die Schuld daran, dass es nicht funktioniert, weil sie nicht so handeln, wie es sein sollte. Es ist doch selbstverständlich, es so zu tun - warum also tun sie es nicht? Niemandem hilft das. Erwartungen machen unglücklich.
Jedenfalls in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Ich kann Annahmen treffen. Ich kann Kriterien haben, die erfüllt werden müssen. Ich kann sie auch Erwartungen nennen, wenn mir dabei bewusst ist, dass das meins ist. Dass nicht jeder meine Meinung teilt. Dass es eben nicht selbstverständlich ist.
Was an Erwartungen eigentlich problematisch ist, ist, dass man davon ausgeht, dass es sich um Selbstverständlichkeiten handelt. Und das ist einfach nicht richtig. Gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen kann das viel Schaden anrichten. Weil man davon ausgeht, nicht darüber reden zu müssen. Weil eben die Wertschätzung für die entsprechenden Dinge verloren geht. Weil es schnell zu Schuldzuweisungen führen kann. Nichts davon ist hilfreich.

Ja, wir brauchen Annahmen und Erwartungen, bestimmte Dinge, auf die wir uns verlassen, um agieren zu können. Aber das macht Sinn im Straßenverkehr. Die Annahme, dass jeder die Regeln kennt. Aber verlassen wir uns darauf, dass jeder danach handelt? Ich hoffe nicht. Ich tue das nicht, auch weil ich zu oft sehe, wie Fehler gemacht werden - auch bei mir selbst.
Die Frage ist, wann Annahmen und Erwartungen sinnvoll sind und wann nicht. Wir müssen auf der Basis von irgendetwas handeln. Entscheidungen treffen. Da sind sie gut. Man sollte sie immer wieder mal hinterfragen, aber ja, ein gewisses Maß davon ist nötig.

Dennoch: In zwischenmenschlichen Beziehungen mit ein wenig Nähe wird das langsam schwierig. Dort fangen Annahmen und Erwartungen an, uns zu behindern. Einzuschränken. Dinge zu nehmen, die wertvoll sind. Weil wir sie nicht mehr wahrnehmen. Weil es so normal und selbstverständlich ist, dass wir sie nur noch wahrnehmen, wenn sie nicht mehr gegeben sind. Das ist die Gefahr von Erwartungen. Und da will ich nicht hinkommen. Ich will nicht an den Punkt kommen, wo ich Dinge für gegeben annehme, und sie deswegen weniger zu schätzen weiß, aber dafür Schmerzen habe, vielleicht böse werde, wenn sie mal nicht gegeben sind.
Ich habe Standards, und Einstellungen. Und daran halte ich fest. Ich will aber nicht an den Punkt kommen, zu glauben, jeder müsste oder würde sie erfüllen, und es wäre eine Unzulänglichkeit an meinem Gegenüber, wenn dem nicht so ist. Das is es nicht. Ich will Menschen als Ganzes sehen, in ihrer Gesamtheit. Ich will ihnen erlauben, sie selbst zu sein - nicht nur nach Außen, sondern auch in meinem Kopf. Ich will sie annehmen als der Mensch, der sie sind - unabhängig davon, ob sie meine Standards nun erfüllen, oder meinen Einstellungen entsprechen oder nicht. Manche Menschen passen nicht zu mir. Das macht sie aber nicht zu schlechte(re)n Menschen. Das macht sie einfach zu Menschen. Zu eigenständigen, autonomen Menschen. Und das ist gut so.

Erwartungen nehmen mir diese Möglichkeit weg. Zumindest ist das sehr leicht, dahin zu kommen, diese Menschen dann als unzulänglich, kaputt oder makelbehaftet zu sehen. Das sind sie nicht. Und ich will sie nicht so sehen. Ich will sie als vollwertige Menschen sehen, die eben nicht zu mir passen. Ich will keine Schuldzuweisungen machen, die darauf hinauslaufen, dass diese Menschen irgendwie Fehler machen oder Fehler haben. Das ist nicht der Fall. Jedenfalls nicht mehr, als jeder Mensch eben Fehler hat. Es macht sie nicht falsch, dass sie nicht passen. Oder nicht dem entsprechen, was ich gern hätte. Es macht sie anders. Und das ist vollkommen okay.
Ich will nicht meinen Filter auf die Welt legen und meinen, das sei das einzig richtige. Natürlich passiert mir das, aber ich versuche, es zu minimieren.
Keine Erwartungen zu haben ist Teil davon. Weil ich mir so darüber bewusst sein kann, dass Dinge nicht selbstverständlich sind. Weil ich mir bewahren kann, Dinge zu schätzen, die wertvoll sind, anstatt sie als selbstverständlich zu nehmen. Weil ich Menschen erlauben kann, sie selbst zu sein, ohne ihnen daraus einen Vorwurf zu machen.

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