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Selbstliebe

Mir ist vor kurzem ein Blogpost untergekommen, der sich mit den 7 Mythen offener Beziehungen befasst. Auch wenn mir in den communities, in denen ich mich bewege, viele davon gar nicht unterkommen, stimme ich dem meisten, was dort gesagt wird, doch eher zu.
Mythos #2: „Psychisch Kranke sind für offene Beziehung nicht geeignet.“ ist definitiv ein Mythos und die dazugehörige Erklärung empfinde ich als stimmig und gut.
Mythos #3: „Partner für offene Beziehungen zu finden ist total schwer!“ stimmt für manche, für andere nicht. Ich würde der Argumentation nur bedingt folgen, stimme grundsätzlich aber zu.
Mythos #4: „Das erste Paar kommt immer an erster Stelle.“ ist etwas, das mir in meinem Umfeld eigentlich nicht unterkommt, und wenn doch, dann wird es sehr schnell als nicht richtig identifiziert. Die Erläuterungen dazu sind in beiden Fällen allerdings recht ähnlich.
Mythos #5: „Alle werden dich dafür hassen und du bist permanent Opfer.“ kommt mir auch nicht unter, ich würde aber grundsätzlich mitgehen.
Mythos #6: „Eifersucht ist böse und wenn du eifersüchtig bist, bist du doof.“ kommt manchmal vor, ist aber bewiesenermaßen totaler Quatsch. Ich denke, ich erkläre oft und breit genug, wie ich dazu stehe (und sollte das ggf. nochmal als eigenen Post verfassen). Zumindest würde ich dem Autor auch hier vollkommen zustimmen, wenngleich ich noch ein paar Dinge ergänzen würde, und andere weniger hervorheben.
Mythos #7: Es gibt kein Richtig oder Falsch. Ich verstehe den Ansatz und stimme größtenteils zu, denke aber dennoch, dass es nicht grundsätzlich falsch ist, von diesem Grundsatz auszugehen, auch wenn das manchmal anders klingt, wenn man mich so reden hört. Vermutlich sind wir uns da doch sehr einig, der Autor und ich, wenn man davon ausgeht, dass man klare Meinungen vertreten können sollte und Dinge, die in der Regel zutreffend sind auch stärker hervorheben sollte, als alles in Indifferenz versinken zu lassen.

Was mich aber ins Stutzen gebracht hat, waren die Gedankengänge zu Mythos  #1: „Selbstliebe ist die Lösung für alles.“
Warum ist das faktisch Quatsch?
Weil es viele Menschen gibt (sehr viele!) die sich selbst nicht sonderlich gut leiden können. Und diese Menschen haben meistens durchaus andere Menschen, die sie mögen, lieben und pflegen. Jemanden die Liebesfähigkeit absprechen, nur weil er sich selbst nicht sonderlich gut findet, ist einfach nicht okay. Vielleicht denkst du: „Na ja, so wörtlich darf man das aber nicht verstehen.“
Aber genau so steht es meistens da. Vielleicht ist damit gemeint, dass Menschen, die sich nicht selbst lieben auch oft den Menschen, die sie gern haben, das Leben schwer machen? Aber auch wenn das keine völlige Entwertung ist, ist es immer noch eine Abwertung.
Ich stimme zu, dass es nicht okay ist, Menschen ihre Liebesfähigkeit abzusprechen, nur weil sie sich selbst nicht lieben. Ich denke auch durchaus, dass diese Menschen dennoch lieben können. Und das ist definitiv auch ein Problem, das ich mit der Aussage habe.
Meine Erfahrung zeigt mir aber, dass Menschen, die sich selbst lieben / schätzen, es deutlich leichter haben, anzuerkennen, dass sie geliebt werden. Weil sie ihren eigenen Wert besser einschätzen können, können sie auch eher glauben, dass jemand sie wirklich ihrer selbst willen liebt und schätzt und im eigenen Leben haben will. Es ist also nicht die Liebesfähigkeit, die dadurch erst gewonnen wird, sondern eine gewisse Qualität und Zuversicht in Beziehungen. Und damit eben auch eine gewisse Sicherheit, die gerade in offenen Beziehungen wichtig ist, weil das auch als Grundlage für Vertrauen dient - Vertrauen darauf, dass mein Gegenüber nicht einfach mit dem nächstbesten Menschen durchbrennt, weil ich mich nicht ständig fragen muss, was es überhaupt an mir findet.
Als Tipp ist es auch Quatsch.
Denn was bringt dir das, wenn du weißt, dass Selbstliebe was schönes wäre? Entweder du bist in der glücklichen Situation dich selbst gut zu finden. Dann hast du hier einen klassischen Bias erschaffen. Wenn irgendwas nicht klappt, kann es nur daran liegen, dass du dich noch nicht genug selbst liebst. Wenn es klappt ist das ein Beweis dafür, dass es stimmt. Gewonnen hast du nichts.
Noch schlimmer sieht es aus, wenn du dich eben selbst gerade NICHT sonderlich gern hast. Was bringt dir das, wenn dir jemand sagt du müsstest erst deine Selbstliebe entdecken? Sicherlich hast du nicht irgendwie eine bewusste Wahl getroffen als du 4 Jahre alt warst: „Ich glaube in Zukunft werde ich mich scheiße finden. Ja gute Idee!“
Und dementsprechend kannst du es auch nicht einfach so los lassen. Es gibt vermutlich tief vergrabene und eventuell auch sehr schmerzvolle Gründe, warum du dich selbst nicht magst. Wenn du das einfach ändern könntest, hättest du es schon längst getan. Und manchmal kann es sogar genau anders herum sein. Eine glückliche Partnerschaft mit jemandem, der dich liebt, obwohl du dich selbst nicht liebst, kann dazu führen, dass sich deine Selbstliebe langsam regeneriert. Oder es dir leichter fällt, dich zu heilen und deine Probleme diesbezüglich anzugehen.
Das ist viel zu einfach gedacht. Zu wissen, dass Selbstliebe hilft, bedeutet am Ende auch, dass man darauf hinarbeiten kann. Wenn ich das schon erreicht habe, kann ich andere Gründe suchen, warum es gerade nicht passt. Selbstliebe hilft eben auch dabei, sinnvolle Grenzen zu ziehen und Entscheidungen zu treffen, die für einen selbst gut sind, nicht nur für das Gegenüber. Das bedeutet dann auch, nicht an Beziehungen festzuhalten, die einem nicht gut tun.
Wenn ich noch nicht da bin, dann kann ich versuchen, daran zu arbeiten, meinen eigenen Wert zu sehen. Das führt dann vielleicht nicht dazu, dass ich anfange, mich zu lieben, aber es kann mir zumindest helfen, erst einmal einen Blick dafür zu bekommen, dass man mich auch mit anderen Augen sehen kann. Es kann mich auch dazu bringen, Hilfe zu suchen oder daran zu arbeiten. Gerade, wenn Selbstliebe nicht als eigenständiges Konzept im Raum steht, das nicht mehr weiter erklärt werden muss, sondern noch mit Möglichkeiten einhergeht, kann das durchaus hilfreich sein. Sinnvoll ist es allemal.
Natürlich hat sich niemand dafür entschieden, sich selbst scheiße zu finden. Man kann sich aber dazu entscheiden, das zu ändern. Das ist viel Arbeit, kostet viel Energie, und braucht oft Hilfe von Außen, nicht selten in Form von Therapie. Aber es abzutun mit "nicht hilfreich" hilft auch niemandem.
Sicherlich kann eine Partnerschaft dazu führen, dass man mehr sehen kann, dass man liebenswürdig ist. Es kann vielleicht sogar eine Basis geben, um Selbstliebe zu finden. Aber hier ist äußerste Vorsicht geboten, weil das schnell dazu führt, dass Selbstliebe wieder vom Außen abhängig ist, was dann im Endeffekt nicht hilfreich ist. Unterstützend, ja. Als Grundlage, nein.
Nochmal: Ich glaube nicht, dass jemand, der sich selbst nicht liebt, nicht lieben kann. Ich glaube auch nicht, dass er keine Beziehung führen kann. Nicht mal unbedingt, dass diese nicht gesund sein kann. Gerade letzteres halte ich in den allermeisten Fällen aber für sehr unwahrscheinlich, eben weil Selbstliebe auch mit Selbstwert verknüpft ist, und wenn das fehlt, eben deutlich mehr Kompromisse eingegangen werden, als gut wären.
Selbstliebe löst ganz sicherlich nicht alles. Es ist aber dennoch ein gutes und hilfreiches Konzept für gesunde und glückliche Beziehungen. Das bedeutet nicht, dass es leicht ist, oder von jetzt auf gleich zu ändern. Es bedeutet aber schon, dass es dennoch sinnvoll ist, darauf hinzuweisen und daran zu arbeiten, weil es die Qualität des eigenen Lebens und der Beziehungen deutlich steigert. Und ich rede hier nicht aus einer privilegierten Position heraus - ich habe mir das hart und über einen langen Zeitraum erarbeitet. Ich habe also durchaus auch den Vergleich, und weiß, was es bedeutet, wenn das Thema aufkommt. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, aber ich kann auch einschätzen, dass es das wert ist. Für sich selbst einzustehen, seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche, für sich selbst zu sorgen und nur Beziehungen zu führen, die einem auch wirklich gut tun, setzt nunmal auch voraus, dass man sich selbst als wertvoll genug ansieht, das einzufordern und dafür einzustehen. Wenn Selbstliebe fehlt ist das oftmals nicht gegeben - einfach, weil man das Gefühl hat, dass es einem nicht zusteht.
Und zuletzt der moralische Aspekt, der oft übersehen wird.
Wer erdreistet sich dir zu sagen, was du brauchst, bevor du eine glückliche Partnerschaft verdient hast? Macht dich das nicht sogar eher ein bisschen wütend? Wer nimmt sich raus über deine Liebesfähigkeit zu urteilen? Und wie zur Hölle sollst du denn einfach so aus dem Stegreif lernen dich selbst zu lieben? Bist du irgendwie als Mensch minderwertig, nur weil du dich selbst nicht gut findest?
Dieser ganze moralisierende Aspekt fällt Menschen die das „Selbstliebe Problem“ gar nicht haben meist gar nicht auf. Und für alle die es haben, ist es eher ein Stock zwischen die Beine als einer zum festhalten.
Mein Vorschlag: Komplett aus dem eigenem Denken streichen, aufhören Artikel darüber zu lesen.
Ich denke nicht, dass es hier um "verdient" geht. Jeder hat Liebe und Zuneigung verdient, unabhängig davon, wie er gerade drauf ist. Und wie gesagt, ich stimme vollkommen zu, dass es nicht in Ordnung ist, Menschen ihre Liebesfähigkeit abzusprechen, warum auch immer. Aber ich denke auch nicht, dass es darum geht, das spontan und sofort zu lernen. Es hat auch nichts mit Minderwertigkeit zu tun. Jedenfalls nicht im Außen. Was aber zu beobachten ist, ist, dass Menschen, die sich selbst nicht lieben, häufig das Gefühl haben, minderwertig zu sein und deswegen Entscheidungen treffen, die für sie nicht gut sind, in dem Glauben, das für den Partner zu tun, oder für die Beziehung, weil das beides wichtiger sei. Und das ist vollkommen falsch! Niemand ist weniger wert als jemand anderes. Und jeder sollte dafür sorgen, dass es einem selbst gut geht. Wenn man sich selbst nicht liebt, sich selbst nicht wertschätzt, dann tut man das aber sehr häufig eben nicht, weil man die Bedürfnisse von anderen über die eigenen stellt.
Deswegen ist Selbstliebe ein wichtiges Thema. Deswegen sollte es eben nicht totgeschwiegen werden. Es sollte nicht als moralische Keule dienen, und es sollte auch nicht die Liebesfähigkeit abgesprochen werden, oder die Beziehungsfähigkeit. Selbstliebe aber jegliche Wichtigkeit abzusprechen aus diesen Gründen ist ebenso falsch! Sie einfach nur in den Raum zu schmeißen aber ebenso. Es ist wichtig, dass wir Möglichkeiten aufzeigen, dort hin zu kommen, und zeigen, warum das gut ist, ohne jemanden mit dieser Fähigkeit als besseren Menschen darzustellen.

Denn effektiv möchte ich, dass mein Gegenüber für sich einsteht. Dass er tut, was für ihn richtig ist und sich gut anfühlt. Ich will nicht, dass sich jemand nach mir richtet und Dinge tut, von denen er glaubt, dass sie für mich gut sind, vor allem dann nicht, wenn er sich dafür selbst vernachlässigt. Ich möchte, dass er Grenzen zieht und deutlich macht, was für ihn geht und was nicht. Ich will mir sicher sein können, ein Nein zu hören, bzw. kein Ja zu bekommen, wenn er sich unwohl fühlt oder nicht sicher ist. Und das funktioniert eben besser, wenn er seinen eigenen Wert kennt, und sich selbst schätzt. Kurz: wenn er sich selbst liebt. Ich sage nicht, dass das nur dann geht. Aber es macht es deutlich einfacher.

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