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Jemanden kennen (lernen)

Jemanden zu kennen kann sehr verschiedene Formen annehmen. Am Ende kann man einen Menschen ohnehin nie vollständig kennen - zum einen verändert er sich beständig, macht neue Erfahrungen, gelangt zu neuen Erkenntnissen, hat neue Gedanken, trifft neue Menschen. Zum anderen kann man nie jede Facette von ihm sehen - weil er nicht alles von sich zeigt, Geheimnisse hat, nicht alles mit jedem teilt, es manchmal gar nicht passt, Menschen sich ihrem Gegenüber und ihrer Umgebung anpassen.

Jemanden zu kennen bedeutet nicht, physischen Raum mit dem Menschen zu teilen, auch wenn das dazu beitragen kann. Es bedeutet nicht, einander körperlich berührt zu haben, auch wenn das ein Aspekt davon sein kann.
Für mich bedeutet, jemanden zu kennen, an seinen Gedanken teilzuhaben. Zu erfahren, was ihn bewegt, was in ihm vorgeht. Womit er sich bzw. was ihn beschäftigt. Ein Einblick in sein Leben, sein Denken, sein Fühlen.
Jemanden kennen zu lernen ist für mich ein Teilen meiner selbst mit dem anderen und ein Teilhaben an seinem Selbst. Das geht nur in Aspekten, Abschnitten. Aber mein Selbst ist nicht physisch, auch wenn mein Körper natürlich zu meinem Ich gehört. Er ist ein Teil davon, aber mehr essentiell wegen des Ausdrucks, der er meinem Sein ermöglicht, nicht weil er mich ausmachen würde. Er ist integraler Bestandteil meines Seins, aber darin nachgeordnet. Was mich als Menschen, als Person, wirklich ausmacht, ist all das, was in meinem Kopf vorgeht. Meine Gedanken, Träume, Ideale. Meine Absicht, mein Glaube, meine Moral. Meine kinks, Fantasien und Interessen. Die Art, wie ich mit anderen Menschen interagiere, mich verbinde. Meine Ängste, meine Hoffnungen, meine Gefühle. Wie ich liebe und was ich damit meine.

Mein Gesicht zu sehen, meinen Körper zu berühren, am gleichen Ort mit mir zu sein, führt ganz sicher nicht dazu, mich zu kennen. Maximal dazu, einen Eindruck von mir, vielleicht ein Gefühl für mich zu bekommen, und selbst das ist nicht so einfach.
Sich mit mir zu unterhalten dagegen, eine richtige Konversation zu führen, sich mit meinem Kopf zu beschäftigen, das führt sehr sicher dazu, ein Gefühl für mich zu bekommen - und wenn man das genug tut, aufmerksam ist, auch dazu, mich kennen zu lernen. Ja, das sind nur Aspekte, aber das bin eben ich.

Und genau so lerne ich Menschen kennen, weil ich davon überzeugt bin, dass es anders nicht geht - mich mit ihnen beschäftigen, unterhalten, zuhören und langsam mehr Gefühl für diesen Menschen bekommen.
Ihm im physischen Raum zu begegnen ist in meinen Augen mehr ein zusätzlicher Aspekt, wie ein neues Thema, eine andere Facette. Eine große zwar, weil Geruch, Anziehung und ähnliches immer Auswirkungen auf die Verbindung haben, aber am Ende macht es den Menschen nicht aus.
Nicht, dass ich bei einem gewissen Maß an Sympathie den Menschen nicht trotzdem gerne sheen wollte - der physische Raum ist sehr wichtig für mich und physische Nähe macht mich glücklich. Aber für ein Kennen Lernen ist er nicht notwendig, mehr ein add-on.

Am Ende sind es die Gedanken, die "kennen" ausmachen. Anziehung, Kompatibilität und ähnliches sind dann Dinge, die wirklich vom Körper beeinflusst werden - und das ist es auch, warum Begegnungen im physischen Raum so vieles ändern können. Aber das geht, meiner Meinung nach, über "kennen" hinaus.

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