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Gastbeitrag: Vom Müssen in Beziehungen

Einer meiner Partner, stettberger, hat mir vor einigen Tagen einen Text weitergeleitet, den er ausformuliert hat, um gewisse Gedanken nochmal deutlich zu machen und mich gefragt, ob ich ihn veröffentlichen mag, nachdem er thematisch schon in meinen Blog passen würde.
Und ich fand die Idee gut. Ich würde ihm auch zustimmen in seinen Gedankengängen, auch wenn sie sehr weitreichende Folgen haben.
Ich glaube, dass, selbst wenn Menschen davon überzeugt sind, dass dem so ist, es dennoch schwierig ist, dies immer bewusst zu haben. Nichts desto trotz ist es in meinen Augen wahr, und wichtig, sich das immer wieder mal in Erinnerung zu rufen.

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In einem Gespräch bin ich vor einiger Zeit dazu gekommen, einen Gedanken zu formulieren, der mich schon lange begleitet und der mich schon häufig darin bestätigt hat, meine Entscheidungen autonom fällen zu dürfen. Der Gedanke, dass man als Mensch beinahe nichts ohne Bedingung muss auf dieser Welt. Und weil dieser Gedanke und die Begründung, die ihm zu Grunde liegt, für mich so wichtig ist, möchte ich ihn kurz darlegen. Der Gedanke ist nicht von mir. Er wurde angestoßen von einem meiner Lehrer zu Abiturzeiten, der eine wundervolle Art hatte, philosophische Themen in
den Unterricht einzuflechten, obwohl sie mit dem, über was wir eigentlich reden wollten, nichts zu tun hatten.

Es gibt in den Beziehungen zu anderen Menschen häufig Situationen, in denen man sich gezwungen und nicht frei in den eigenen Entscheidungen fühlt. Dies mag zum Beispiel daran liegen, dass man gerne polyamor leben möchte, der Partner aber starke Probleme mit Eifersucht hat und man sich selbst deshalb gezwungen fühlt, sich zurück zu nehmen. Oder eine andere Situation, in der man sich gerne von seinem Partner trennen möchte, aber man auf die eine oder die andere Weise abhängig vom Partner ist. Das sind Situationen, die starke Konflikte beinhalten und sich sehr beklemmend anfühlen. Aber es müssen nicht nur solche schweren Konflikte sein, die dazu führen, dass wir uns manchmal gezwungen fühlen, auf eine Weise zu handeln, die nicht unserem Ideal oder unserem Wunsch entspricht.

Aber sind das wirkliche Zwänge? Sind das wirkliche Dinge, die ich muss und für die ich die Verantwortung auf die Schlechtigkeit der Welt abwälzen kann? Denn wenn es ein wirkliches, ein echtes Müssen ist, ein Müssen, das ohne Bedingung/unbedingt ist, dann kann und dann brauche ich mich nicht dagegen wehren, denn es wäre ja zwecklos. Ich glaube, dass es nur sehr sehr wenige Dinge gibt, die ich wirklich muss.

Nun kann man beim unbedingten Müssen, beim Müssen ohne Bedingung, nicht danach fragen, was die Konsequenzen wären, würde man dem Müssen nicht gehorchen. Denn dem unbedingten Müssen muss man gehorchen; man kann gar nicht anders. Schwerkraft ist ein gutes Beispiel für unbedingtes Müssen. Der muss ich auf dieser Erde tatsächlich gehorchen, und daher kann es auch keine Strafe als Konsequenz geben, wenn ich mich weigere, der Schwerkraft zu gehorchen. Es geht einfach nicht, es kann nicht auftreten. Aber in der Beziehung zu Menschen, da ist jedes Müssen nur ein bedingtes Müssen. Das bedeutet aber, dass alle diese Müssens von der Form sind: "Ich muss X, weil ich Y nicht möchte". Das bedeutet aber auch, dass wenn ich bereit und in der Lage bin, jedes Y zu ertragen, dann muss ich nichts auf dieser Welt.

Ephraim Lessing formuliert es so und legt Nathan dem Weisen die Worte "Kein Mensch muss müssen"[1] in den Mund. Da nun das Müssen an meinem Willen hängt, kommt es nur darauf an, ob ich mich entscheiden kann oder darauf einwirken kann, etwas nicht mehr zu wollen. Diese Freiheit, sein eigenes Wollen zu prägen, nennt man freien Willen. Und dieser freie Wille ist eng verbunden mit der Würde des Menschen und eine menschliche Besonderheit.

Das verhungernde und ansonsten gesunde Tier, dass man vor einen Trog mit Futter setzt, wird (sofern es noch körperlich in der Lage ist) daraus fressen. Es ist nicht frei darin, diesen Wunsch zu unterdrücken und kann seinen Willen zu fressen nicht frei formen. Bei Menschen haben wir diesen Ausdruck freien Willens gesehen. Wir haben gesehen, dass Menschen im Hungerstreik sterben, um damit gegen unhaltbare Zustände oder für ihre politischen Ziele zu protestieren. Und wenn wir uns eine Situation vorstellen, wo der SS Offizier mit vorgehaltener Waffe vor mir steht und mich zwingen will, ihm zu verraten, wo ich die Kollaborateure versteckt habe. Selbst in dieser Extremsituation, wo man eigentlich denken könnte, dass ich muss, weil doch mein Leben daran hängt, selbst da muss ich nicht unbedingt. Ich muss nicht müssen, weil ich immer noch sterben kann.

Ich beschreibe diese Extreme Situation nicht, weil ich glaube, dass man ihr besonders häufig begegnet. Aber sie ist gut dafür, sich das Spektrum des bedingten Müssens klar zu machen. Wenn Menschen selbst in dieser Situation nicht müssen, dann muss ich meistens auch nicht. Wenn mein Kollege mir sagt, dass es dieses Hähnchen zu Mittag essen müsste wegen seiner Diät, dann sagt er eigentlich "Ich muss dieses traurige, geschmacklose Stück totes Tier, eingeschweißt in Plastik, essen, weil ich diese Diät machen möchte." Und in dem Moment ist kein Müssen mehr, es ist im Grunde ein Wollen, aus dem Dinge folgen.

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