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Verantwortung für andere

Immer wieder wird uns mitgeteilt, dass wir Verantwortung tragen müssen. Nicht nur für uns selbst, auch für die Menschen in unserer Umgebung. Verantwortung für ihre Bedürfnisse, für ihr Wohlergehen.

Ich glaube nicht.
Sicherlich tragen wir Verantwortung für Kinder, die sich in unserer Obhut befinden. Aber nur, weil sie das nicht selbst können. Vielleicht für andere Angehörige, eben weil sie es nicht mehr selbst können. Aber Verantwortung für jemanden zu übernehmen, der dazu durchaus selbst in der Lage ist, erwachsen, im Besitz seiner geistigen Kräfte, ist übergriffig. Es macht den Menschen klein, raubt ihm seiner Autonomie und Selbstständigkeit. Seiner Selbstverantwortung.
Verantwortung für jemanden zu übernehmen, der dazu selbst in der Lage ist, beraubt ihn seiner Selbstständigkeit und bedeutet, dass man ihn behandelt wie jemanden, der dies nicht kann. Jemanden, dem man das nicht zutraut.

Andere Menschen liegen nicht in meiner Verantwortung.
Ich, die Erfüllung meiner Bedürfnisse, mein Wohlergehen liegen auch nicht in der Verantwortung von anderen. Weder meiner Familie, noch meinen Partnern - keinem meiner Menschen.
Es lag einmal in der Verantwortung meiner Eltern, aber sie sind dem nicht wirklich nachgekommen, und ich hab's dennoch bis hierhin geschafft. Warum sollte jetzt, wo ich sehr gut für mich selbst sorgen kann, noch jemand anderes dafür verantwortlich sein?

Das bedeutet nicht, dass es auf Rücksichtslosigkeit hinausläuft. Aber die Verantwortung dafür, dass es mir gut geht liegt bei mir. Entscheidungen, wie das zu erreichen ist, liegen bei mir. Ich schätze die Meinungen der Menschen in meinem Umfeld sehr, daher beziehe ich sie mit ein. Aber so wie ich es brauche, dass sie mich als vollwertigen, selbstständigen und selbstverantwortlichen Menschen wahrnehmen und behandeln, tue ich das mit ihnen auch.
Und das bedeutet am Ende, dass jeder für sich sehen muss, dass er weiß, was er braucht und dass es ihm letztendlich gut geht. Das schließt sich nicht aus - aber es ist Voraussetzung dafür, gemeinsame Wege zu finden. Verbindungen auf Augenhöhe zu führen.

Wenn ich Verantwortung für einen anderen übernehme, dann bedeutet das auch, dass ich ihn herabwürdige. Ihm nicht zutraue, es selbst zu tun. Ich nehme ihm damit nicht nur seine Selbstständigkeit, sondern auch sein Sein als vollwertigen und selbstbestimmten Menschen. 
Nicht, dass ich das nie getan hätte - im Gegenteil. Aber Entscheidungen für einen anderen Menschen zu treffen, zu entscheiden, was das beste für ihn ist, Verantwortung für ihn zu übernehmen, ist etwas, das ich nicht mehr tun will. Und das ich auch nicht mehr dulde, einfach, weil es jegliche Möglichkeit zerstört, gleichberechtigt am Tisch zu sitzen und Entscheidungen zu treffen. Gemeinsam.

Selbstbestimmung ist ein wichtiger Bestandteil von Autonomie, und beide sind mir wichtig. Nur so kann Herrschaftslosigkeit gewährleistet sein. Und damit eben Freiheit. Die Abwesenheit von Zwängen und Nötigung, von abuse. Ebenbürtigkeit. Gleichheit. Die Möglichkeit zur freien Entfaltung. Und damit eben auch zur Entfaltung von Person und Persönlichkeit.

Mein Ideal ist es, nur noch Verantwortung für jene zu übernehmen, die es nicht mehr selbst können, und auch nur dann, wenn ich der richtige Mensch dafür bin. Weil es zu respektvollem Umgang miteinander gehört. Und ich möchte das auch für mich haben.
Es ist ein Ideal - denn letztlich wird immer wieder beharrt, wie sehr es unsere Aufgabe ist, dass wir Verantwortung für andere übernehmen. Dem lässt sich kaum entfliehen. Aber es ist ein Anfang - und ein Ziel, auf das sich hinarbeiten lässt, auch wenn es vielleicht nie zur Perfektion kommt.

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