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Äußerlichkeiten

Es ist schon immer wieder erstaunlich, zu bemerken, wie stark das Erscheinungsbild das Bild beeinflusst, welches wir von einem Menschen haben. Dabei werden wir natürlich von Stereotypen, Rollenbildern, Klischees und gesellschaftlichen Ansichten geprägt.. aber am Ende sind doch wir es, die dann bestimmte Dinge von einem Menschen erwarten - nur auf Grund seines Äußeren.

Ich rede hier nicht mal von Kleidung. Die können wir uns ja zumindest noch zu einem gewissen Grad aussuchen - zumindest hier in Deutschland. Und uns dadurch hervorheben, individualisieren, Statements setzen. Oder eben nicht. Zumindest, wenn wir die Ressourcen dafür haben.

Nein, ich meine den menschlichen Körper an sich. Wie er bewertet und beurteilt wird. Wahrgenommene Geschlechtszugehörigkeit bestimmt, was wir von einem Menschen erwarten. Wie wir sein Verhalten bewerten. Wie wir zu ihm stehen. Wie wir uns ihm gegenüber verhalten. Was wir für Annahmen über ihn treffen. Wie wir ihn kategorisieren, in allen möglichen Dimensionen.
Ethnizität, Hautfarbe, Körperbau, Narben, Geschlechtsmerkmale, ... eigentlich alles. Das wenigste davon kann ein Mensch selbst beeinflussen.
Wie starr fixiert wir darauf sind, wie ein Mensch aussieht, ist schon manchmal traurig. Und zwar nicht nur, wenn wir ihn dadurch abwerten - die reine Beurteilung an sich, rein anhand des Äußeren, ist unheimlich verwerflich.

Nicht nur, dass es nicht selten weit von der Realität weg ist. Wir sorgen damit auch dafür, dass wir einem Menschen nicht wirklich begegnen. Dass wir ihn nicht wahrnehmen, noch weniger, als ohnehin schon. Es ist unter besten Bedingungen kaum möglich, einen Menschen vollständig wahrzunehmen. Das noch so sehr durch Äußerlichkeiten einzuschränken ist traurig, schmerzhaft und schrecklich. Am Ende wollen die meisten von uns gesehen werden - je näher ein Mensch uns kommt, desto mehr wollen wir gesehen werden. Verstanden.
Je stärker die Beeinflussung durch Äußerlichkeiten, desto weiter bleibt die Entfernung, die Distanz, die notwendigerweise zwischen zwei Menschen bestehen muss. Im schlimmsten Fall kann das zu vollkommener Isolation führen. Vermutlich ist das nicht einmal der schlimmste Fall, weil ich mir diesen gar nicht vorstellen kann.

Wie muss das für trans* Menschen sein, die sich oft nicht nur nicht gesehen fühlen, invalidiert, allein. Sondern denen zusätzlich dabei noch von allen Seiten die eigene Wahrnehmung abgesprochen wird? Die beständig mit gaslighting zu tun haben, einfach, weil Menschen zu kleinstirnig sind, um anzunehmen, dass nicht jeder Mensch so ist und fühlt, wie sie selbst? Wie grausam muss es sein, wenn man keine community findet, keine Validation? Kommt es dann im schlimmsten Fall auch zu einem Abspalten von sich selbst, und damit der Isolation im Innen und im Außen?

Wie ist das für den großen Mann mit den breiten Schultern, der sich eigentlich so klein fühlt und gern auf den Arm möchte? Der sich warm und sicher fühlen will und von dem niemand glaubt, dass er das braucht, weil er doch so groß ist?

Wie ist es für das Kind, dessen Grenzen nicht ernst genommen werden, weil es noch so klein ist und sich nicht wehren kann? Dessen Fragen nicht ernst genommen werden, "weil das kein Thema für ein Kind ist"?

Für den Jugendlichen, der so viele ernste, schlimme, gefährliche Gedanken hat, aber nie ernst genommen wird, weil er doch keine Ahnung vom Leben hat und gar nicht wissen kann, wovon er da redet?

Für die Frau, die unglaublich viel Ahnung hat, aber immer wieder übergangen wird, ihre Meinung nicht zählt, weil ihr das niemand zutraut? Die ständig irgendwie.. weniger ist? Der immer wieder erzählt wird, wie unbedingt sie doch Kinder haben wollen muss? Von der grundsätzlich angenommen wird, sie sei bottom?

Für den Menschen mit dem entstellten Gesicht, dessen innere Schönheit niemand sehen kann, weil sie nicht lange genug hinsehen? Der als Zumutung abgestempelt wird, anstatt zu fragen, was ihm zugemutet wurde und wird, jeden Tag?

Für den Menschen, der anders aussieht, von dem so viele ständig glauben, er spräche ihre Sprache nicht? Vor dem so viele unbegründet Angst haben? Der den Job nicht bekommt, weil er vermutlich unzuverlässig ist? Der die Wohnung nicht bekommt, "weil wir keinen Ärger haben wollen"?

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