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Alte Verbindung, alter Schmerz

Als ich noch studiert habe und noch bei meiner Mutter wohnte bzw. gerade eingezogen war, habe ich an einem Jungautoren-Projekt mitgewirkt, von dem ich mich dann distanziert hatte, bevor es richtig losging, weil es interne Grabenkämpfe gab und das Projekt dem eigentlichen Urheber entrissen wurde.
Während dieses Projektes habe ich einen Menschen kennen gelernt, der mir sehr schnell sehr wichtig wurde. Natürlich aus einer anderen Stadt, weit genug entfernt, dass sich Tagesbesuche schon durchaus gelohnt haben, aber regelmäßiges Sehen unmöglich war.

Ich hatte damals sehr schwere Depressionen, von denen ich einfach dachte, dass das normal ist, Teil von mir. In gewisser Weise ist das auch nicht falsch.. aber letztlich eben doch.
Gesehen haben wir uns kurz nachdem ich bei meinem Vater ausgezogen war, also auch kurz nachdem ich schwanger geworden war und mich für eine Abtreibung entschied. Alles in allem also ein wirklich beschissener Zeitpunkt in meinem Leben. Und tatsächlich war der Kontakt zu diesem Menschen einer der wenigen Lichtblicke für mich.
Ich habe ihn immer als leuchtend, warm und weich wahrgenommen, etwas, das es in meinem Leben sonst nicht gab. Und ich hatte außerdem furchtbare Angst, dass ich ihn mit meiner Dunkelheit anstecken, verderben könnte. Ihn hinunterreißen würde in meine Abgründe, ohne etwas dagegen tun zu können. Dennoch wollte ich nicht auf Abstand bleiben.
Ich hatte definitiv romantische Gefühle für ihn, wollte dem aber nicht nachgehen, eben aus jenen Ängsten. Daran ist schließlich auch unsere Verbindung gescheitert. Weil ich ihn abgewiesen habe, ohne dass ich es wirklich wollte, aus Angst, dass ich sein wunderbares Licht zum Erlöschen bringen könnte. Wie anmaßend. Aber eben auch sehr typisch für Depressionen - Menschen von sich fernhalten, weil man es nicht wert ist, Isolation besser ist.

Wir haben sehr losen, sporadischen Kontakt gehalten, aber eigentlich war die Verbindung vollkommen eingeschlafen.
Vorher waren seine Briefe Dinge, die mich über Wasser gehalten haben. Beim Darauf Warten, beim Lesen, beim Antworten. Beim Später Nochmal Nachlesen. Ich glaube, ich habe ihm das nie erzählt. Und am Ende war mir das damals auch nicht wirklich bewusst, nicht klar.
Ich kann mich noch an die rasende Diskussion in mir selbst erinnern, in der Situation, in der es schließlich zu dem Bruch kam. Bereue, dass ich so sehr aus Angst gehandelt habe. Und kann es doch auch verstehen. Auch wenn ich heute anders handeln würde, weiß ich, dass ich es damals nicht gekonnt hätte.
Ich hab mich damals nicht erklärt, konnte es auch nicht, denke ich. Aber ich kann mich an den Schmerz erinnern, mit dem ich Ewigkeiten herumgerannt bin. Daran, wie damit am Ende auch mein letztes bisschen Halt und Positivität zu dem Zeitpunkt flöten gegangen ist. Wie ich mir danach ungesunde Beziehungen hier gesucht habe, weil ich damit zumindest umgehen konnte - war das doch vertrauter.

Manchmal frage ich mich, ob ich ihn wirklich hinabgezogen hätte, wie ich es befürchtet habe. Oder ob mir das vielleicht geholfen hätte, früher da raus zu kommen. Ich weiß es nicht. Am Ende ist es auch nicht wichtig.
Wichtig ist, dass mir nicht wirklich klar gewesen ist, wie viel mir dieser Mensch wirklich bedeutet hat - und auch immer noch tut. Nicht, bis er sich vor einer Weile bei mir gemeldet hat und wir ins Schreiben kamen.
Ich hab mich endlich erklärt, soweit mir das möglich war. Wir haben uns ausgetauscht und offen über das gesprochen, was damals war. Was heute ist. Ein paar Briefe, ein wenig virtueller Kontakt.

Wirklich bewusst wird mir aber erst jetzt, was für mich daran hängt. Jetzt, wo der Kontakt wieder eingeschlafen ist, ohne dass viel mehr passiert ist, als dass wir uns ausgesprochen haben. Wo wir uns treffen wollten, um zu sehen, wie es heute ist zwischen uns. Mit all der Geschichte, nach 10 Jahren. Nachdem das irgendwie wieder hochkam, ich mich darauf eingelassen habe, vorsichtig, aber doch. Wissend, dass ich ihn sehr verletzt habe, und keine wirkliche Entschuldigung dafür habe. Nur Erklärungen. Bedauern, Reue.
Jetzt, wo ich den Verlust ein zweites Mal erlebe, ohne zu wissen, warum. Was passiert ist, was sich geändert hat, nachdem er gar nicht mehr reagiert. Nur die Markierungen, die besagen, dass er es nicht nur erhalten, sondern auch gelesen hat. Fragen. Ängste. Verwunderung. Schmerz. Das Wissen, dass es sinnvoll ist, nun loszulassen - und es gleichzeitig nicht zu wollen. Noch zu hoffen. Erklärungen suchend.

Am Ende wird mir heute bewusst, dass ich das nie wirklich losgelassen habe. Abgeblockt, ja, aber nicht beendet. Nicht verworfen. Und heute hängt daran so viel, immer noch, dass es einfach annehmen und sein lassen (zumindest noch) nicht geht. Mir wird auch erst heute bewusst, was er für mich bedeutet hat - damals und auch die gesamte Zeit dazwischen.

Klar haben wir uns beide verändert. Sind nicht mehr die gleichen wie vor 10 Jahren. Wie auch? Aber ihn wiederzusehen, zu sehen, wie sehr er sich verändert hat, macht mir weniger Angst, als dass es jetzt hier und so zu Ende ist.
Und ein Teil von mir fragt sich, ob er gerade, wie ich früher, aus Angst handelt. Ob ihm die Worte fehlen und er nicht weiter weiß. Zurück der einzig sinnvolle Weg zu sein scheint, obwohl es kein Zurück gibt. Oder ob es etwas anderes ist. Ob ich es jemals erfahren werde.

Wenn ich an ihn denke, habe ich immer noch das Bild von ihm vor mir, wie es vor 10 Jahren war, auch wenn sich hier und da neue Eindrücke hineinmischen. Ich merke, wie ich neugierig bin, zu sehen, wer er heute ist. Gleichzeitig ist es zunehmend unwahrscheinlich, dass das jemals passieren wird.
Was es für mich so schrecklich macht, ist, dass es sich anfühlt, als würde ich ihn nun wirklich und endgültig verlieren. Als würde die Verbindung nun doch noch abreißen, selbst der kleine unscheinbare Faden, der all die Jahre noch da gewesen ist. Am Ende hat mir diese Verbindung, auch nachdem wir kaum noch Kontakt hatten, viel mehr gegeben, als mir bewusst gewesen ist. Ich glaube auch nicht, dass mir das volle Ausmaß schon bewusst geworden ist oder - demnächst wird.
Aber mir bleibt wohl nichts anderes, als zu lernen, damit umzugehen. Zu trauern und ihn ziehen zu lassen.

Falls du das hier irgendwann zufällig lesen solltest:
Danke.

Ich wünsche dir das beste auf dieser Welt, von ganzem Herzen. Dass du das richtige für dich findest und deinen Weg gehen kannst. 

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