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Queerness und Gatekeeping

Ich muss sagen, dass ich Gatekeeping gerade in der queeren Szene nicht verstehe. Tatsächlich ist es auch genau das, was mich immer davon abgehalten hat, wirklich Kontakte in die queere Szene zu knüpfen.
Einfach weil mir, wie so vielen anderen auch, immer wieder gesagt und vermittelt wurde, ich sei nicht queer genug. Weil "passing" irgendwie ein Schimpfwort wurde. Weil Bi- und Pansexualität auch in queeren spaces erased wird.

Gatekeeping hat dazu geführt, dass ich unnötig lange keinen Platz hatte, an dem ich sein kann. Es keine Möglichkeit gab, mich und meine Identität kennen zu lernen, zu finden, und internalisierte Queerfeindlichkeiten aller Art loszuwerden. Das hat auch dazu geführt, dass ich mein eigenes trans-Sein erst jetzt "gefunden" habe und immer noch das Gefühl habe, Beziehungen zu Frauen oder femmes seien nicht in Ordnung, obwohl das Quatsch ist.

Am Ende führt Gatekeeping zu unheimlich viel Schaden - für die Personen, die ausgeschlossen werden, aber ich glaube, auch für die community selbst. Letztlich werden viele wertvolle Stimmen ausgeschlossen und die community kleiner gehalten, als es sein müsste. Für was? Von Außen sieht das nach Stolz aus, wie ein "Reinheitsmodell".

Ich habe jeden Grund, mich queer zu nennen. Dennoch kämpfe ich noch immer sowohl mit dem Begriff selbst, als auch damit, mich der community zugehörig zu fühlen. Gerade wegen des Gatekeepings - und der daraus resultierenden Abnormität, in der die "Normalgesellschaft" weniger erasure und Ablehnung für meine Identität übrig hat, auch wenn es auch mit Ablehnung und Distanz verbunden ist.
Für die einen nicht queer genug, für die anderen zu weird und queer, um wirklich dazuzugehören. Ein Gefühl, das ich gut kenne - und immer wieder erfahren habe.

Queer.
Eigenartigkeit, Wunderlichkeit, Abweichung von der Norm. Queer ist ein reclaimed Begriff, der am Ende doch Stolz ausdrückt, von der Norm abzuweichen. Warum dann nicht alle Abweichungen von der Norm gleichberechtigt aufnehmen?
Stattdessen wird es oft als Abweichung von der hetero, oder cis-hetero Norm genommen.
Menschen des asexuellen und/oder aromantischen Spektrums haben genauso um ihren Platz und damit um ihre Anerkennung zu kämpfen, und neben ihnen auch viele andere, die von der soziokulturellen "Norm" abweichen.
Gatekeeping beruft sich sehr häufig auf struggles - wie schwer für den Einzelnen ist, diese Abweichungen zu leben und den damit verbundenen Mangel an Privilegien. Dabei werden gewisse struggles als schwerer als andere gewertet. Davon abgesehen glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, am Maße oder der Art des struggles zu messen, wie queer jemand ist. Es wird immer Ähnlichkeiten und Unterschiede geben.
Wie in anderen Bereichen, in denen es um Unterdrückung geht, übersehen die Unterdrückten dann sehr schnell, wo ihre eigenen Privilegien sind und üben anhand derer Macht aus, treten nach unten, um ihren hart erkämpften Platz zu erhalten, anstatt ihn zu teilen, um gemeinsam stärker zu werden. Das macht mich traurig, aber auch wütend.

Anstatt zusammen zu stehen und allen Abweichungen Platz einzuräumen, Privilegien zu teilen, Aufmerksamkeit zu schaffen, zuzuhören und sich gegenseitig zu stärken, wird darum gestritten, wer dazu gehören darf, welche Abweichung richtig ist, und dabei ganze Gruppen von Menschen einfach unter den Bus geworfen, in der Hoffnung, der Normalgesellschaft so näher zu kommen - nahe genug, um Anerkennung zu erhalten. Statt die Strukturen selbst zu hinterfragen und zu zerschmettern, versucht man nur, ebenfalls aufzusteigen, um auf andere hinabtreten zu können.

Anstatt gegeneinander zu spielen, auszugrenzen, abzulehnen, sollte ein gemeinsamer Kampf gefochten werden. Gegen die Strukturen, für Gleichheit und Akzeptanz für alle. Das bedeutet aber eben auch, dass wir aufgeben müssen, Teil der Normgesellschaft werden zu wollen, und stattdessen vorhandene Vorstellungen, Vorurteile und eben auch Privilegien abzulegen, um wirklich Akzeptanz und Freiheit für alle zu erhalten.

Wenn queer bedeutet, in unserem Geschlecht, mit unseren Beziehungen, in unserer sexuellen oder romantischen Orientierung nicht den normgesellschaftlichen Vorstellungen zu entsprechen, dann sollten wir das innerhalb dieser nicht auf wenige Gruppen beschränken, sondern uns als Abweichende aller Art solidarisieren. Zusammen gegen normative Vorstellungen aller Art vorgehen und Abweichungen jeglicher Art normalisieren.
Wenn wir gemeinsam gegen die Hindernisse wahrer Selbstbestimmung kämpfen, können wir viel erreichen.

Ich bin queer.
Ich bin demisexuell, und damit asexuell.
Ich bin panromantisch.
Ich bin non-binary trans.
Ich bin kinky.
Ich bin polyamor.

Und ich bin davon überzeugt davon, dass jede einzelne dieser Identitäten mich zu einem queeren Menschen macht, ganz unabhängig von den anderen. Weil jede davon bedeutet, dass ich von der allo-cis-hetero-normativen Vorstellung von romantisch-sexuellen Zweierbeziehungen abweiche. Weil ich für jede davon von der Normalgesellschaft ausgeschlossen und geshamed werde(n kann), und Risiken eingehe, wenn ich damit offen umgehe.

Und trotz dieser Identitäten habe ich Transfeindlichkeit internalisiert, immer noch.
Ich habe Asexualität für krank gehalten, dachte lange, mit mir sei etwas nicht in Ordnung.
Ich habe Angst gehabt, wegen meiner kinks krank zu sein, und es wurde pathologisiert. Es gibt Menschen, die dafür Job und Familie verlieren oder sogar psychologisch behandelt werden.
Polyamorie wird als Bindungsangst abgestempelt, gesunde Beziehungen pathologisiert, Menschen verlieren ihre Kinder darüber.
Ich bin geshamed worden, und habe andere Menschen geshamed, für ihre Identitäten, mit denen nichts falsch ist.

Ich bin fest davon überzeugt, dass jede Abweichung von der Normgesellschaft als solche Anerkennung in queeren Kreisen finden sollte, weil Abweichung Queerness bedeutet. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir nur gewinnen können, wenn wir Gatekeeping endlich hinter uns lassen, und solidarisch nicht nur mit jenen sind, die uns selbst ähnlich sind, sondern eben auch mit allen anderen, die abweichen. Dass wir gemeinsam zuhören und lernen, uns von der Norm wirklich abwenden und neue Strukturen bauen, in denen jeder Unterstützung und einen Platz findet.

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