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Meine Pronomen

Seit ich mir meines Geschlechtes bewusster werde, dem näher komme, die Transfeindlichkeit ablege, mir selbst einfach näher komme und all das auch bewusster wahrnehme bzw. überhaupt erst zulasse und mich auch mit anderen Erfahrungen auseinandersetze, wird mir immer klarer, dass ich trans bin. Und vor allem auch, welches flavor of trans ich bin.

Lange Zeit habe ich gedacht, dass das absolut unwichtig ist und nichts ausmacht. Am Ende bin ich Mensch, Geschlecht ist nicht identitätsstiftend. Und das ist zu einem gewissen Grad auch immer noch richtig - aber ich fühle mich auch zunehmend unwohl damit, von anderen Menschen als Frau wahrgenommen zu werden.
Ich kann Komplimente nicht ernst nehmen und erst recht nicht annehmen, wenn sie an mich als Frau gerichtet sind. Nicht, weil ich nicht glaube, dass der Mensch das so meint, sondern weil ich keine Frau bin und das entsprechend nichts mit mir zu tun haben kann. Weil ich mich nicht gesehen, nicht wahrgenommen fühle, und Komplimente an ein Ich, das ich nicht bin, sich hohl und leer anfühlen.
Geschlecht ist auch immer noch nicht identitätsstiftend für mich - jedenfalls nicht so, wie andere Identitäten das sind. Aber es ist auch nicht unwichtig. Im Gegenteil, es ist wichtig, und mich mit mir und meinem Geschlecht auseinanderzusetzen und das auch nach Außen zu tragen, es zu verdeutlichen, ist wichtig - weil es dazu führt, dass es mir besser geht, ich mich wohler fühle und ich auch das Gefühl habe, mehr als ich wahrgenommen zu werden.

Die Erkenntnis, dass ich trans bin, ist noch gar nicht so lange her. Dass ich non-binary bin schon länger (was irgendwie widersinnig ist, aber definitiv daran liegt, dass diese Gesellschaft binär ist und auch trans oft binär gedacht wird), aber ich habe mir lange nicht erlaubt, da groß drüber nachzudenken.
Mir ist schon ziemlich lange bewusst, dass sich they/them im Englischen richtiger anfühlt. Die meiste Zeit davon habe ich mir nicht erlaubt, meine Pronomen im Englischen zu wechseln - das hat verschiedene Gründe.
Erstens fühlt es sich falsch an, in meiner Zweitsprache, die ich deutlich weniger nutze, richtig gegendert zu werden, in meiner Erstsprache aber nicht. Was mir nicht klar war, aber definitiv der Fall ist, ist, dass ich nicht damit zurecht gekommen wäre, die Validierung der richtigen Pronomen manchmal zu erfahren, und die meiste Zeit aber nicht. Ich bin davor zurückgeschreckt, weil ich unbewusst über die Schmerzen Bescheid wusste, die das auslösen würde, und habe mich dagegen entschieden. Aus Selbstschutz, und damit mir die Diskrepanz nicht so deutlich wird.
Zweitens habe ich mir nicht erlaubt, mir der Wichtigkeit meines Geschlechts für meine Identität bewusst zu werden. Wechseln hätte das bewirkt - und hat es nun auch effektiv.
Drittens wollte ich nicht in meiner Zweitsprache mehr ich sein können, als in meiner Erstsprache.

Das habe ich tatsächlich Anfang des Jahres geändert und mich auf they/them im Englischen eingelassen.
Im Deutschen hatte ich keine sinnvolle Lösung gefunden, aber ich wollte auch nicht länger verzichten. Tatsächlich hat es auch geschmerzt, dass da diese Diskrepanz war, aber am Ende nicht so sehr, wie ich unbewusst befürchtet hatte. Es hat aber auch in Gang gesetzt, dass ich noch mehr und auch irgendwie anders über mich selbst nachdenke. Nicht nur über mein Geschlecht, sondern auch meine gender expression - und damit einhergehend tatsächlich auch, dass "feminine" Dinge wie Kleider und Röcke, Nagellack oder Make Up aufgehört haben, gegendert zu sein. Das verdanke ich tatsächlich wunderbaren Menschen in meinem Umfeld und zunehmender medialer Präsenz.

Vielleicht ist es sinnvoll, zu erklären, wo meine Probleme mit den üblichen Pronomen liegen:
Das klassische sie/ihr mit dem Femininum ist nicht zutreffend, da ich keine Frau bin. In den Köpfen der Menschen werde ich so aber als Frau abgespeichert, entsprechend so wahrgenommen und misgendert - und vor allem passiert das auch, wenn Menschen das eigentlich wissen, weil es aus dem Bewusstsein entgleitet. Wir leben in einer binären Welt und vorhandene Denkstrukturen werden hier einfach nicht hinterfragt. Es ist leicht, mich auch als Frau wahrzunehmen, wenn ich darauf hinweise, keine zu sein.
Das klassische er/ihn mit dem Maskulinum ist einfach klar misgendern. Ich bin kein Mann und fühle mich nicht angesprochen. Es ist nicht weniger passend als sie/ihr und Femininum, aber eben unpassend. Hier wird klar, dass ich keine Frau bin, es fühlt sich aber falsch an.
Es/ihn fühlt sich für mich einfach degradierend an. Es wird für (kleine) Mädchen und Objekte genutzt, wobei Objekte oftmals nicht mal "es" sind, sondern "sie" oder "er". Dass das an sich schon problematisch ist, sei nun mal dahingestellt.. Ich kann verstehen, dass das nicht für alle Menschen gilt. Für mich, der ich ohnehin schon objektifiziert und abgewertet werde, würde das nur bestehende Diskriminierungen noch validieren und verschärfen bzw. würde es sich anfühlen, als würde ich mich selbst abwerten.
Neopronomen fühlen sich als Begriff für mich künstlich an und damit unpassend. Ich habe mich selbst sehr lange nicht zugehörig, nicht als Mensch gefühlt - und Neopronomen würden für mich persönlich wieder ein Gefühl des otherings mit sich bringen. Durch die Assoziation würde ich mir selbst beständig das Gefühl geben, dass mein Geschlecht und damit meine Identität nicht valide sind. Wenigstens würde es aber zu dem Gefühl führen, dass es für mich keinen Platz geben würde oder ich ihn mir - erneut - erst erarbeiten müsste. Hier würde viel Arbeit, die ich in meine personal growth und mental health gesteckt habe, verloren gehen. 
Als letzte Möglichkeit gäbe es noch Pronomen aus anderen Sprachen zu übernehmen, wie they/them oder auch hen. An sich keine schlechte Idee, zumal ich selbst häufig englische Worte nutze, gerade, wenn sie sich nicht zu hundert Prozent übersetzen lassen. Aber Konzepte zu übernehmen ist etwas anderes. Wenn meine Erstsprache kein Wort dafür hat, mich selbst zu beschreiben, fühlt es sich auch nicht an, als hätte ich selbst Platz in der Sprache, und damit auch nicht in den Köpfen meiner Mitmenschen, und damit auch nicht in der Gesellschaft.

All diese Dinge gelten natürlich nur für mich. Es ist das Gefühl, das ich für mich habe bei dem Gedanken, dass so über mich gesprochen wird. Andere Menschen haben andere Gefühle dazu, und ich würde meine Assoziationen und Gefühle dazu niemandem aufdrücken. Die Bewertungen all dieser Pronomen sind nur in meinem Kopf und auch nur für mich selbst gültig. Ich übertrage das nicht auf andere Menschen, es sind keine Pauschalaussagen, sondern ganz persönliche Empfindungen für die jeweiligen Pronomen in Bezug auf meine Person.
All diese Möglichkeiten sind valide und am Ende geht es darum, dass wir alle uns mit unseren Pronomen wohl fühlen.

Ich habe lange darüber nachgedacht, aber es fühlte sich alles nicht richtig an. Als ich dann mit Freunden darüber gesprochen habe, kam die Idee auf, einen Bruch zwischen Nomen und Pronomen herzustellen.
Mir war sofort klar, dass sich das richtig anfühlt und es das passende für mich ist. Der Bruch zwischen Femininum und er/ihn fühlte sich sehr passend an.
Das ist meine Freundin. Ich liebe ihn sehr.

Obwohl ich genau wusste, dass es das richtige für mich ist, sich richtig anfühlt, gut ist, habe ich noch zwei Wochen gebraucht, um mich zu trauen. Auch das hat, wie eigentlich alles, viele Gründe.
Der größte ist tatsächlich, wie so häufig, dass es da Nachwirkungen von meinem Trauma gibt, die hier unheimlich mit reinspielen. Denn meine Pronomen zu wechseln ist Aufwand. Es ist vor allem Aufwand für andere. Und dann bewege ich mich ja auch noch außerhalb der gängigen Strukturen, was noch viel mehr Aufwand ist. Ich mache also Mühe, mache Aufwand, fordere etwas ein. Und dann auch noch etwas, das doch gar nicht so wichtig ist. Immerhin ist Geschlecht für mich ja nicht identitätsstiftend. Ich würde also eine kleine Unannehmlichkeit von mir über Gewohnheit, Einfachheit und Normalität von nicht nur einer, sondern unglaublich vielen Personen stellen. Ungefähr allen. Das ist nicht nur eine einfache Bitte. Das ist nicht mal nur einfach innerhalb der Strukturen wechseln, sondern so viel. Wie kann ich mir nur anmaßen, das von Menschen zu erfragen? Aber es ist eben nicht nur eine Unannehmlichkeit für mich. Und auch wenn Geschlecht nicht so sehr identitätsstiftend ist, ist es doch wichtiger Bestandteil meiner Identität. Ich bin glücklicher, zufriedener, und fühle mich mehr wertgeschätzt, wenn ich als ich gesehen werde. Und dazu tragen Pronomen eben auch bei. Und das nicht nur ein bisschen. Und außerdem darf ich Raum einnehmen. Ich darf Bedürfnisse haben und sie äußern. Und Menschen, denen ich wichtig bin und die mich respektieren, wird das nicht egal sein.
An dieser Stelle danke an die Menschen, die mir dabei geholfen haben, das zu realisieren. Eine fellow non-binary Person möchte ich hier besonders hervorheben. Unser Gespräch hat mir sehr geholfen und vieles klarer werden lassen. Danke dafür.

Dazu kommt, wie so häufig, Angst. Die offensichtlichste ist natürlich die Angst vor Ablehnung, auch wenn das tatsächlich ein eher kleiner Teil ist. Und das, obwohl die sehr eng damit zusammenhängt, zu viel zu verlangen. Vielleicht ist sie mir aber auch deswegen nicht so groß vorgekommen, weil das schon im Rest mit drin ist und irgendwie nicht so richtig zu trennen. Ich bin nicht sicher.
Was mir jedenfalls viel größer vorkam und auch immer noch da ist, ist die Angst davor, was das für meine bestehenden Verbindungen bedeutet, vor allem zu denen, die sich selbst als straight/heterosexuell identifizieren. Zwar bin ich schon die ganze Zeit non-binary gewesen und das ist auch kommuniziert worden und klar.. aber das sprachlich nun so deutlich zu machen, macht doch noch etwas mit der Wahrnehmung. Auch wenn man das eigentlich weiß, kann man das, wie oben erwähnt, verdrängen oder vergessen, wenn man von mir als sie spricht. Etwas grundsätzlich zu wissen und es sich ständig bewusst zu machen sind einfach vollkommen verschiedene Dinge. Mit dem Bruch wird das jetzt aber deutlich. Mit dem Pronomen er kommen andere Assoziationen. Bewusst darauf achten zu müssen, mich richtig zu gendern, macht das Ganze nochmal viel deutlicher und bewusster. Es ist also zu erwarten, dass sich in der Wahrnehmung von mir als Person in den Köpfen der Menschen in meinem Umfeld etwas ändert. Das ist ja auch die Absicht. Aber vielleicht ist das .. zu viel.
Natürlich ist das unsinnig. Zum einen, weil das nicht zwangsläufig heißt, dass die Verbindung verloren geht, auch wenn sich das natürlich auswirken und Veränderungen hervorrufen kann. Zum anderen, und das ist viel wichtiger, ist es ja nicht echt, wenn der Mensch mich nicht als Ich, sondern als Frau anziehend findet und unter dieser Prämisse mit mir zusammen ist. Es würde also nur deutlich werden, dass die Verbindung auf etwas fußt, das nicht real ist. Desillusionierung ist etwas gutes. Dennoch macht es Angst.
Denn damit geht eben auch die Frage einher, was das eigentlich für meine Verbindungen bedeutet. Aber wie einer meiner Menschen vorhin sagte:
Eigentlich ist die Frage jetzt zu spät.
Denn ich bin kein anderer Mensch. Es hat sich nichts geändert, außer meine Pronomen. Wie so oft ist es aber eben nicht so einfach.
Dass einer meiner sehr nahen Menschen auch am Rande geäußert hat, dass es einen winzigen Teil gibt, der Angst davor hat, dass es eine viel größere Bewegung in Gang setzt und das irgendwann dann nicht mehr kompatibel sein könnte, hat meine Ängste nochmal befeuert. Obwohl er ganz deutlich gemacht hat, dass das zu vernachlässigen ist, unwichtig. Dass er vollkommen hinter mir steht und mich unterstützt. Und das auch vollkommen konform mit früheren Unterhaltungen zu dem Thema gewesen ist. Es war wichtig, das zu hören, weil es .. mir irgendwie das Gefühl gibt, dass es okay ist, dass ich Angst habe. Und weil es uns näher bringt. Aber es hat eben auch diese Angst verstärkt. Gleichzeitig hat es auch Raum geschaffen, über meine Angst zu sprechen, was sie in Bezug auf diesen besonderen Menschen zumindest weitestgehend ausräumen konnte.

Ängste sind scheiße. Ich habe auch mal beschlossen, mich nicht mehr von ihnen abhalten zu lassen - aber das ist sehr häufig deutlich schwerer umzusetzen.

Was ich in den letzten paar Tagen erfahren habe, ist aber unglaublich validierend.
Bisher kam nur Unterstützung. Selbst von denen, die das nicht verstehen. Ängste, etwas falsch zu machen - weil ich ihnen wichtig genug bin, dass sie keine Fehler machen wollen. Gleichzeitig das Bewusstsein, dass es durch Ausbrechen aus bekannten Strukturen schwierig werden kann. Die Frage, wie mit Fehlern umgegangen werden soll. Fragen dazu, wie offen das ist, ob es Menschen gibt, die nichts davon wissen sollen, ob sie es weitererzählen dürfen/sollen. Fragen über bestimmte Situationen, wie bestimmte Konstruktionen gehandhabt werden sollen, diese Dinge. Unglaublich viel Respekt, Validierung, Unterstützung. Ich bin überwältigt. Auch, weil ich erst vor wenigen Jahren angefangen habe, überhaupt positive Bestärkung zu bekommen, und dieses Maß ist gerade unheimlich viel und unglaublich ungewohnt. Ich bin so furchtbar dankbar dafür, wie großartig mein Umfeld ist. Gerade auch, weil ich weiß, wie privilegiert ich damit bin.

Und fucking shit ist das ein Aufwand, Menschen darüber zu informieren, zu behalten, wem man schon davon erzählt hat und wem nicht, und auch selbst aufmerksam genug zu bleiben, um korrigieren zu können - sofort, und nicht erst 5 Sätze weiter.

Aber es ist richtig. Und es fühlt sich so gut an.
Danke, dass ihr euch den Aufwand macht, weil es mir wichtig ist.

Edited to add:
Wenn es konkrete, passende geschlechtsneutrale oder gender-passende Ausdrücke gibt, dann haben die natürlich Vorrang.
Heißt, ich bin immer noch keine Frau, kein Mädel, keine Lady. Stattdessen Mensch, Person. 

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