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(Alb-)Träume und Veränderungen

Der Traum fängt an, wie viele andere vor ihm. Es ist das einzige Zimmer, das ich in meiner Kindheit und Jugend hatte, das wirklich mir gehört hat. Wie gewöhnlich war es anders eingerichtet, irgendwas zwischen meinem heutigen Ich, persönlichen Wünschen und passendem Setting für den kommenden Inhalt.
Irgendwie seltsam, wenn ich so darüber nachdenke, aber vollkommen normal. Gewöhnlich.

Ich habe mich mit irgendwas befasst, als der Traum anfing. Aufräumen, packen.. so etwas. Jedenfalls bin ich viel durch das Zimmer gegangen, um Dinge zu suchen. Gleichzeitig wusste ich natürlich, dass es einer dieser Träume war, sodass ich mir auch ein bisschen die Zeit vertrieben habe, bis es wirklich losging. Das hier war nur die Einleitung, vielleicht eher der Prolog.
Wenn ich hier ankomme, dann ist das in der Regel mit einer Mischung aus Resignation und leichtem Interesse, was dieses Mal kommen wird. Ich weiß genau, dass ich träume und habe in gewissem Maß Kontrolle darüber, was passiert. Ich weiß aber auch, dass es passieren muss und nur schlimmer wird, wenn ich es hinauszögere. Manche Träume sind anders, diese aber nicht. Diese sind immer wichtig, und wichtig bedeutet, dass ich durch muss. One way or another.
Letztlich heißt es Warten, bis es wirklich anfängt. Es herbeizwingen zu wollen ist am Ende nichts anderes, als zu versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen - ob nun durch Aufwachen oder aktives Verändern des Traumes.

Ich war nicht erschrocken, als sich die Atmosphäre plötzlich änderte. Wie deutlich spürbare, fast sichtbare Statik in der Luft. Es war eindeutig, dass jetzt der eigentliche Inhalt beginnen sollte - einfach, weil es in tausenden Iterationen zuvor ebenso gewesen ist. Variationen, ja, aber immer das selbe Schema.
Ich war darauf vorbereitet, dass es plötzlich dunkel wurde, ich nicht mehr sehen konnte. Dass sich der Geruch schlagartig veränderte. Dass es plötzlich voll war in meinem Zimmer und alle Fluchtwege abgeschnitten waren. Entsprechend war es ein leichtes, mich zu wehren, als ich gepackt wurde, und mich zu verteidigen. Ich bin nicht hilflos in meinen Träumen und nur sehr selten reiner Beobachter, gefangen im Hintergrund des Bewusstseins der Person, in deren Körper ich in meinem Traum stecke. Im Normalfall bin ich in voller Kontrolle über meinen Körper, kann den Traum, das Geschehen beeinflussen. Hilfreich, aber auch sehr anstrengend - weil es effektiv nicht wie schlafen ist, sondern aktives Handeln erfordert. Ich kann mich nicht zurücklehnen und zuschauen, ich muss etwas tun. Also lasse ich mich durch den Traum leiten, ohne die Kontrolle abzugeben.
Dieses Mal hatte ich keine Angst. Das ist untypisch. Gefühle lassen sich nicht kontrollieren, man kann nur lernen, damit umzugehen. Sie auszublenden oder nutzbar zu machen. Aber dieses Mal war da keine Angst, nur Kampfeswillen. Genug, um nicht darüber nachzudenken, was das bedeutet, sondern es nur am Rande zu registrieren.

Sie haben mich letztlich dennoch überwältigt und festgehalten. Kaum verwunderlich, auf so engem Raum und so vielen Gegenspielern. Immerhin war ich keine leichte Beute.
Aber hier waren sie, meine altbekannten Dämonen. Allerdings war irgendetwas anders, und anstatt mich zu überwältigen, zu verschleppen, gab es dieses Mal diesen einen, der, umrundet von den anderen, mich in den Arm nahm. Mich an sich zog und festhielt. Wirklich fest, aber auch liebevoll, mich haltend, schützend. Während all die anderen um uns herum standen und für Ruhe und Sicherheit sorgten.
Ich war.. verwirrt. Irritiert. Zu sagen, das sei unerwartet, wäre vollkommen untertrieben.
Er hielt mich so lange, bis ich mich schließlich entspannte, dann beruhigte und letztlich fallen ließ. Lange. Und dann war es plötzlich einfach okay.

Sie haben mich mitgenommen. Am Ende ist das vermutlich auch ein Stück weit Befreiung von meiner Vergangenheit. Dieses Zimmer ist ja nicht nur irgendein Ort, sondern steht für etwas. Und ich habe es zum ersten Mal freiwillig verlassen.
Wir saßen die ganze Nacht (oder länger - es gab nichts, woran der Zeitverlauf hätte gemessen werden können) zusammen. Alle an einem riesigen Tisch. Ich saß immer auf dem Schoß von jemandem, kann mich aber nicht daran erinnern, ob es immer der gleiche Dämon war oder ob das gewechselt hat. Ich war umringt von meinen Dämonen und habe mich das erste Mal nicht nur wohl, sondern auch sicher gefühlt.
Sehr außergewöhnlich. Interessant. Neu. Und unglaublich befreiend.

Es gab großartiges Essen. Wir haben gespielt, gelacht, geredet. Knochen geworfen und Geschichten erzählt. Sind frühere Begegnungen durchgegangen, haben Motive und Gedanken erklärt. Sind uns näher gekommen. Ich wurde gestreichelt und massiert. Es war einfach schön - nah, liebevoll.
Ich konnte spüren, wie sich Wunden, die ich schon ewig mit mir herumtrage, geschlossen haben, wie sie geheilt sind. Konnte nicht nur mich, sondern auch meine Dämonen besser kennen lernen, verstehen lernen. Habe in meine Abgründe geschaut und gelernt, woher sie kommen. Woher ich komme. Wenigstens teilweise.
Das war ein seltsames Gefühl. Vertraut und gleichzeitig vollkommen fremd.

Wenn es mir zu viel wurde, ich meine Ruhe brauchte, blieb ich auf dem Schoß sitzen, vergrub mein Gesicht am Hals dessen, auf dem ich saß, und seine Flügel haben sich um mich geschlossen. Unter den Flügeln war es warm und still. Ich konnte ganz für mich entscheiden, wann, wie sehr und wie lange ich mich in diesen Kokon aus Körper und Flügeln zurückziehen wollte. Ich hätte auch jederzeit gehen können, aber das war nicht notwendig.

Es war das erste Mal, dass wir nicht gegeneinander gekämpft haben. Dass sie mich nicht gequält haben. Im Gegenteil, sie haben für mich gesorgt und gemeinsam einen sicheren Ort geschaffen, den sie nicht nur verteidigen, sondern an den ich jederzeit zurückkehren kann. Einen Ort, an dem wir uns alle wohl fühlen, wir selbst sein können, aber auch glücklich sein können. In Gemeinschaft leben, ohne uns etwas wegzunehmen. An dem wir wachsen und uns entfalten können, ohne einander zu schaden. Miteinander. Gemeinsam.

An das Gefühl des Kuschelns kann ich mich noch immer erinnern, obwohl ich den Traum schon vor über zwei Wochen hatte. Noch lange nach dem Aufwachen konnte ich es tatsächlich spüren.
Das interessante an luziden Träumen, jedenfalls bei mir, ist, dass die Erinnerungen daran realer erscheinen, als normale Erinnerungen. Ich mehr davon mit in den wachen Zustand nehme, bzw. mehr davon aktiv wieder fühlen kann, wenn ich mich daran erinnere.
Das ist sehr häufig ziemlich scheiße. In diesem Fall ist es aber sehr schön gewesen und hat dazu geführt, dass ich lange davon zehren konnte.

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