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#NotJustSad - Depressionen und Beziehungen

Ich schreibe seit einiger Zeit ja mehr über Depression als über Beziehungskonzepte und sowas. Das liegt vor allem daran, dass die Depression das ist, was mein Leben derzeit am meisten prägt.
Aber darüber hinaus gibt es dafür noch einen schwerwiegenderen Grund - der sich letztlich daraus ergibt und eine Folge der Depression ist, aber gleichzeitig auch nicht.
Denn durch die Depression, oder besser: ihre Symptome, fällt es mir schwer oder ist zum Teil sogar unmöglich geworden, Beziehungen aufrecht zu erhalten und sie zu pflegen.

Sehr verkürzt: In meinem Leben gibt es derzeit kaum Beziehungsarbeit, die Beziehungen, die ich vorher hatte, leiden massiv unter meiner derzeitigen Verfassung, viele davon sind komplett eingeschlafen, alle mindestens reduziert.

Meine Depression (in dieser Iteration) hat unheimlich viele Facetten. Traurigkeit ist tatsächlich kein Teil davon. Was aber (ziemlich großer) Teil davon ist, ist das Gefühl, allein zu sein. Um es mal sehr überspitzt zu formulieren:  Da das nicht stimmt und es sehr viel gibt, was dagegen spricht, muss ich mir für meine Annahme eine alternative Welt schaffen, damit das funktioniert. Damit dieses Bild oder Gefühl aufrecht erhalten werden kann.
Ich vereinfache und überspitze hier sehr bewusst, um den ganzen Komplex verständlich zu machen. Dazu kommt natürlich, dass ich auch nur bedingt darüber Bescheid weiß. Aber so.. ergibt es Sinn und hilft vielleicht, das irgendwie klarer zu sehen, wenn man das selbst noch nicht erlebt hat. Natürlich ist das auch nur mein Erleben und nicht allgemeingültig.

Okay. Also, in meiner Depression gibt es also unter anderem den Glaubenssatz, dass ich ganz alleine bin. Dazu gehört auch, dass ich unwichtig bin. Dass ich eine Zumutung, eine Last bin. Dass ich nicht liebenswert oder liebenswürdig bin. Dass niemand mich haben will.
Ich weiß, dass das falsch ist. Gleichzeitig fühle ich das aber derzeit sehr häufig nicht. Weil die Depression alles einfärbt, verdreht, an sich reißt.
Dabei ist zu bedenken, dass die Depression keine eigene Entität ist. Sie ist mein Kopf, mein Gefühlsleben, integraler Teil meiner Selbst. Nutzt die gleichen Strukturen, Denkmuster, Tricks. Wenn ich gegen die Depression kämpfe, dann kämpfe ich nicht gegen eine fremde Entität - ich kämpfe gegen mich selbst. Meine eigene Logik, meine eigenen Stärken und Schwächen. Nur eben.. twisted. Sie ist nicht von mir losgelöst, kein Monster, keine Bestie, die sich erschlagen ließe. Keine Person, der ich einfach aus dem Weg gehen kann, nicht zuhören muss. Es ist auch keine Person, die ich durch Diskussion von meinem Standpunkt überzeugen kann.
In diesem Fall ist es, für mich, tatsächlich ein Teil meines Ichs, das aber irgendwie.. früher besteht. Ein deutlich jüngeres Ich, wenn man so will, das von den vielen Änderungen in meinem Leben nichts oder nicht genug mitbekommen hat. Irgendwo hängt ein Teil von mir noch in diesen alten Strukturen, im Trauma. Dieser Teil kann die jetzige Realität nicht sehen, Änderungen nicht wahrnehmen und auch nicht erkennen, dass die Umstände auch gar nicht mehr vergleichbar sind.

Um jetzt in dem Zustand dieses früheren Ichs bleiben zu können, damit der eben nicht nur in diesem abgeschlossenen Teil meiner Selbst vorhanden ist, sondern Platz und Raum im Jetzt bekommt, in meinem heutigen Ich, muss das "rüberbluten". Das funktioniert zum einen eben durch die Gefühlslage und Glaubenssätze, die plötzlich wieder da sind (Ich bin allein. Niemand will mich haben. Etc.). Zum anderen braucht es aber auch tatsächliches reinforcement in der Realität. Es muss also mein heutiges Ich auch überzeugt werden, wenigstens emotional. Wenn nun ständig Daten kämen, die dagegen sprächen, würde es sehr schnell anstrengend, das aufrecht zu erhalten.

Und daher kommt zu dem Gefühl eben auch noch executive dysfunction, also bspw., dass ich etwas tun will oder muss, es aber nicht anfangen kann. Egal, wie leicht es ist. Ich sitze dann da und kann es nicht tun. Nicht, weil ich nicht will, sondern weil es mir tatsächlich nicht möglich ist. Auch wenn ich theoretisch dazu in der Lage wäre.
Heißt: Ich kann mein Handy nicht nehmen und dem Menschen schreiben, an den ich gerade denke. Heißt, ich kann keine Antwort verfassen - oder sie nicht abschicken.

Zu dem Gefühl kommt auch eine emotionale Überforderung oder Übermüdung. Jedes Gespräch ist anstrengend. Einem Gespräch auch nur zu folgen, geschweige denn dazu beizutragen, ist unheimlich anstrengend. Je mehr Hindernisse es gibt, desto schwieriger wird es - bis es quasi unmöglich wird, auch wenn es an sich nichts schweres ist. Ich bin viel schneller müde, als das vorher der Fall war. Tatsächlich mehr, als ich das je kannte. Nicht körperlich, nur im Kopf. Das geht auch fast sofort weg, wenn ich wieder alleine bin. Oder das virtuelle Gespräch beendet habe.
Mein Körper sagt mir also ständig, dass jeder Kontakt zu anderen Menschen anstrengend ist, zu viel, nicht geht. Und "belohnt" mich dafür, wenn ich mich isoliere.

Es kommt auch dazu, und das ist für mich persönlich tatsächlich das schlimmste, dass ich vergesse, dass es Menschen gibt, die mich lieben. Die da sind. Die nur darauf warten, mir etwas gutes tun zu können. Die mich sehen wollen. Mich mit Liebe überschütten.
Ich kann mich manchmal nicht daran erinnern, dass es überhaupt jemanden gibt. Dass ich eigentlich nur eine Nachricht schicken muss, anrufen, irgendwas, und sofort Nähe und/oder Hilfe bekomme. Ich vergesse spezifische Personen. Ich vergesse, welcher Art unsere Verbindung ist, oder dass überhaupt eine besteht. Ich sitze hier und denke, ich sei ganz allein. Ich weiß, dass das nicht so ist. Aber wenn ich mir selbst aufzeigen will, dass es nicht so ist, ist mein Kopf einfach leer. Keine Gesichter, keine Namen, kein  Gefühl. Das ist nicht ständig so, aber sehr viel. Es bedarf sehr bewusstem Entscheiden, um mich daran zu erinnern. Viel Energie und Kraft. Viel Arbeit.
Es hilft, Erinnerungen zu bekommen, dass es nicht so ist. Kuscheltiere oder andere Dinge, die ich geschenkt bekommen habe. Fotos. Physische Erinnerungen. Gleichzeitig ist das, wenn es schlimm ist, auch irgendwie hohl. Fühlt sich an, als sei das nicht echt oder würde zu einem anderen Menschen, in ein anderes Leben gehören.
Nicht sonderlich verwunderlich, wenn man überlegt, dass die Depression effektiv ein früheres Ich ist, das dieses meine Leben gar nicht kennt, für das all das fremd ist.
Nachrichten helfen. Frische reminder, dass es nicht stimmt. Die Stimme eines lieben Menschen zu hören. Eine Benachrichtigung. Eine Umarmung. Aber auch das verschwimmt, verschwindet, und wird vergessen.

Es ist bedrückend. Belastend. Und tatsächlich auch etwas, das ich niemandem aufbürden will - was letztlich auch der Depression in die Hände spielt, und sicherlich auch wenigstens zum Teil davon kommt. Keine Last sein zu wollen, gleichzeitig die Überzeugung, definitiv eine zu sein. Immerhin ist das ja auch so - mit Liebe überschüttet werden zu wollen/müssen, damit auch nur ein Bruchteil davon ankommt. Wie ein Fass ohne Boden, das nie voll wird. Durch das alles einfach durchläuft. Ist nichts, das Spaß macht, oder schön ist. Und ganz sicher auch nicht nur für mich belastend, sondern auch für meine Lieben.
Und dann gibt es also rationale Gründe, mich zu zurückzuziehen, mich zu isolieren. Und mir ist nie klar, ob meine Depression, mein früheres Ich jetzt mein jetziges Ich überzeugt hat, oder ob es doch richtig ist.

Worauf ich eigentlich hinaus wollte:
Ich kann nicht viel über Beziehungen schreiben, weil ich derzeit nicht das Gefühl habe, Beziehungen irgendeiner Art zu haben. Das ist falsch. Aber es fühlt sich dennoch so an.
Ich vergesse es. Darüber hinaus kann ich mich nicht melden. Kann keine Gespräche beginnen oder auch nur aufrecht erhalten. Hab nichts zu sagen - oder eigentlich doch, aber weiß nicht, wie. Kann mich nicht ausdrücken, mich nicht verständlich machen. Verstehe mich selbst kaum.

Es ist leichter, mit Fremden Kontakt zu haben, weil da nicht so deutlich wird, was ich gerade alles nicht schaffe. Es ist leichter, Rat zu geben, weil das losgelöst von mir und meinen eigenen Beziehungen funktioniert. Das kann ich. Und ich hab Nutzen. Gleichzeitig ist es nicht notwendig, das mit den Glaubenssätzen in Verbindung zu bringen, die derzeit so allgegenwärtig sind, weil sich das nicht widerspricht.

Meine Beziehungen leiden. Sehr.
Ich bin nicht sicher, wie viel davon noch übrig bleiben wird, wenn ich irgendwann hier durch bin. Ob sie das überleben werden oder nicht. Ob einige gerade einfach schlafen oder schon verkümmert sind. Das führt auch dazu, dass ich Angst habe, in mein Leben zurückzukehren - einfach, weil ich nicht weiß, was mich erwartet und ob ich das nicht einfach zerstört habe hiermit. Ich weiß auch nicht, wie lange das noch gehen wird. Und auch wenn ich weiß, dass ich das Privileg habe, dass meine Menschen das größtenteils verstehen (zumindest soweit, dass sie annehmen, dass ich das nicht mache, weil sie mir unwichtig sind), bedeutet das nicht, dass es keine Folgen für unsere Verbindung hat. Oder dass das über Zeit funktioniert.

So schlimm ist es jetzt seit 10 Monaten. Es ist unklar, wie lange das noch dauern wird. Es hat schon vorher angefangen. Ich kann nicht erwarten, dass das einfach okay ist.
Also sitze ich hier und sehe seit Monaten hilflos dabei zu, wie meine Verbindungen darunter leiden, während ich so sehr damit beschäftigt bin, mich selbst irgendwie zusammen zu halten, dass ich einfach nichts tun kann.

Ich bin nicht traurig. Kein bisschen.
Ich bin müde. Ich bin angestrengt. Ich habe Angst. Ich bin überfordert. Ich fühle mich verlassen, und gleichzeitig empfinde ich mich als Belastung.
Ich bin dankbar für meine Lieben und glücklich. Gleichzeitig fühle ich mich allein und bin einsam.

Wie gesagt, das ist nur ein Symptom meiner Depression, die noch sehr vielfältige andere Dinge umfasst. Aber es ist das, was mich am meisten belastet. Was am anstrengendsten ist für mich. Auch, weil ich genau deswegen jeden  Tag unermüdlich wieder mit mir diskutiere, dagegen halte.. Weil das das ist, an dem ich am Ende vielleicht zerbrechen werde. Das was eine realistische Möglichkeit des Scheiterns beinhaltet. Und es ist eben auch der Teil, der mir nicht nur mein Leben, sondern auch meine Beziehungen kaputt macht.

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