Ich beobachte gerade warm-glücklich, wie mir liebe Menschen in NRE versinken und
davon auch ein wenig überfordert sind. An der ein oder anderen Stelle habe ich
auch schon mit Rat (oder Umarmungen) beigestanden.
Weil ich gerade so im Thema bin, habe ich das also als Anlass genommen, mal
niederzuschreiben, was ich in den letzten Jahren so gelernt habe, teils durch
andere Ressourcen, teils durch eigene Erfahrungen.
Vielleicht fangen wir aber vorne an. Was ist NRE überhaupt?
NRE, Englisch New Relationship Energy, bezeichnet die "Energie", die sich zu
Beginn einer Beziehung einstellt. Es geht um die "Rosarote Brille", von der
häufig gesprochen wird. Dabei kann sich NRE auch in nicht-romantischen
Verbindungen einstellen, meistens wird aber von NRE in Verbindung mit
romantischen, häufig auch sexuellen, Verbindungen gesprochen. NRE beginnt oft
schon, bevor es eine Beziehung im klassischen Sinne gibt, nämlich wenn
(beidseitiges) Interesse an einer (näheren) Verbindung besteht. In der Regel
hält der Zustand sechs Monate bis zwei Jahre an und entsteht durch einen
krassen Hormoncocktail, der unsere Hirnchemie durcheinander bringt. Sehr stark
verkürzt stehen wir unter NRE also unter körpereigenen Drogen.
Nicht jede Verbindung durchläuft NRE. Ob das passiert oder nicht sagt nichts
über die Intensität, Validität oder Verbindlichkeit einer Verbindung aus. NRE
sagt auch nichts darüber aus, ob die Verbindung nun romantisch ist oder nicht.
Grundsätzlich macht NRE Dinge kompliziert. Es kann nerven und belastend sein,
es kann aber auch Freude bringen und genossen werden. Menschen sind
unterschiedlich und NRE kann sich ebenso unterschiedlich zeigen oder
auswirken.
Wie gehe ich mit NRE um?
1. Annehmen, dass die Zurechnungsfähigkeit (zumindest etwas) eingeschränkt
ist.
Wie gesagt, es ist ein Zustand, der einem Rausch ähnlich ist. NRE kann
entsprechend auch abhängig machen, ist also allgemein ein bisschen mit
Vorsicht zu genießen. Wichtige Entscheidungen, gerade was Zusammenziehen,
Heiraten oder Kinder angeht, sind in dieser Zeit oft nicht zuverlässig zu
treffen. Auch Versprechungen für die Zukunft, finanzielle Verpflichtungen bzw.
größere Ausgaben oder das Fallen Lassen von Barrieren (Kondome o.ä.) sollten
nicht in dieser Zeit passieren.
In den meisten Quellen zum Thema wird geraten, in dieser Zeit keine
lebensverändernden oder sonstigen großen Entscheidungen zu treffen.
Insbesondere keine, die ein größeres commitment bedeuten.
2. Abstand hilft.
Auch wenn es schwer fällt, ist es durchaus sinnvoll, nicht meine ganze Zeit
und Aufmerksamkeit auf den betreffenden Menschen bzw. meine Beziehung zu
diesem zu schmeißen. Ablenkung, Alltag, Freunde, andere Partner - all das
hilft, nicht völlig den Verstand zu verlieren und mich nicht in der neuen
Person bzw. der Verbindung zu verlieren. Mein Leben besteht noch aus deutlich
mehr als nur diesem Menschen und in meiner Erfahrung lässt sich NRE auch mehr
genießen, wenn das Leben vielfältiger bleibt und ich auch meine NRE teilen
kann.
3. Grenzen setzen.
Im Idealfall habe ich mir vorher überlegt, was ich für Grenzen ziehe bezüglich
NRE. Das ist in der Regel etwas, das nicht schon existiert, sondern sich mit
der Zeit ergibt. Hilft jetzt also nicht so sehr, wenn Mensch noch keine
Erfahrungen hat, auf die Mensch zurückgreifen kann. Das können auch nur
einfache Stichpunkte oder Aufforderungen sein. Je nachdem, wie stark Mensch
davon betroffen ist, können das Dinge wie "Vergiss deine anderen Partner
nicht!", "Verbring auch Zeit mit Freunden!" oder auch "Hast du schon was
gegessen?", "Wie viel schläfst du gerade?" sein. In meinem Fall gibt es unter
anderem "Rede nicht nur von diesem einen Menschen!".
4. Bestehende Grenzen, Regeln und Abmachungen einhalten.
Wenn ich bestehende Pläne habe, dann halte ich sie ein. Auch wenn ich doch
viel lieber mit dem neuen Menschen Zeit verbringen wollen würde. Es gibt hier
Ausnahmen, aber in der Regel gehen bestehende Pläne vor.
Gleiches gilt für Abmachungen, die ich mit meinen Menschen habe. Wenn ich
sage, dass ich zu einer gewissen Zeit Zuhause bin oder bestimmte Dinge
vorher kommuniziere, dann habe ich das zu tun und nicht im Eifer
des Gefechts oder vor lauter Vorfreude über den Haufen zu werfen.
Wenn es innerhalb von meinen Beziehungen Grenzen oder Regeln gibt, die mich
gerade stören, dann setze ich mich nicht einfach in der Situation darüber
hinweg, in der das interessant wird, sondern spreche darüber, dass das für
mich nicht (mehr) funktioniert.
Wenn ich vor einem Treffen kommuniziert habe, dass bestimmte Dinge nicht okay
sind, dann sollte ich selbst auch dafür sorgen, dass das so eingehalten wird.
Weder sollte ich die Verantwortung dafür meinem neuen Menschen zuschieben,
noch das einfach übergehen. Auch wenn ich dann in der Situation doch so gern
würde.
5. Erfahrung.
Je öfter ich das schon durchgemacht habe, desto besser weiß ich, auf was genau
ich achten muss. Wie sich das auswirkt. Ich kann auch besser erkennen, wenn
Dinge aus dem Ruder laufen und auf entsprechende Anzeichen schauen. Genießen
wird einfacher, weil ich nicht mehr auf alles achten muss und nicht mehr alles
in kleinsten Schritten auseinander nehmen und beleuchten muss, um sicher zu
gehen, dass meine Entscheidungen auch langfristig in Ordnung sind.
Erfahrung sorgt auch dafür, dass das Grundlevel an NRE nicht mehr so
unglaublich extrem ist.
Gerade für Menschen wie mich, die in ihrer Jugend nie so richtig krass NRE
hatten, ist ein voller Schwenk davon aus dem Nichts oft kaum zu bewältigen und
überfordernd. Erfahrung mildert das etwas ab, es wird insgesamt etwas ruhiger.
Ausnahmen bestätigen die Regel, aber so grundsätzlich ist das auch
Gewöhnungssache, denke ich.
6. Freunde, Partner, Menschen.
Menschen, denen ich vertraue. Die sind super wichtig und toll. Zum einen
freuen sich viele an meiner NRE, weil das niedlich ist. Zum anderen bietet das
Darüber Reden die Möglichkeit, reality checks zu bekommen. Mal ganz von der
Intimität abgesehen, die dabei entstehen kann, Menschen an meinem Gefühlsleben
teilzuhaben.
7. Bestehende Verbindungen pflegen.
Das Stärken von anderen Verbindungen ist in dieser Zeit wichtig und hilft auch
dabei, NRE in sinnvolle Bahnen zu lenken. Oft vergessen wir die anderen
Menschen in unserem Leben, wenn da ein new shiny aufgetaucht ist, was im
besten Fall zu weniger Kontakt und im schlechtesten Fall zum Ende von mehreren
Verbindungen kommt. Es ist auch leicht, dass hier Unsicherheiten in anderen
Verbindungen auftauchen, worauf mit Achtsamkeit, Vorsicht und ein bisschen
extra Arbeit reagiert werden sollte. So schwer es auch fallen mag.
Grundsätzlich gilt: Solange nicht eindeutig anders festgelegt, sollte
gemeinsame Zeit fokussiert verbracht werden. Bestehende Verbindungen sollten
nicht hinter dem new shiny zurückbleiben oder unwichtiger werden. Mir bewusst
Zeit zu nehmen, die nicht von new shiny unterbrochen wird, bei der meine
Aufmerksamkeit wirklich bei dem Menschen liegt, mit dem ich gerade Zeit
verbringe, ist wichtig.
8. Absprachen treffen.
Ich kläre sowohl mit dem neuen Menschen, als auch mit denen, die schon einen
festen Platz haben, was ich teilen darf und was nicht. Wie viel ich erzählen
darf. Was an Erwartungen, Bedürfnissen, Wünschen besteht. Wie viel Raum darf
und kann der neue Mensch in bestehenden Verbindungen einnehmen und anders
herum?
9. Klare und offene Kommunikation.
Allgemein bin ich offen damit, was gerade bei mir los ist (NRE) und wie genau
sich das zeigt. Dazu gehört auch, Erwartungen abzustecken und zu sagen, was
ich gerade leisten kann und was nicht. Und natürlich bedeutet das auch, dass
ich meinen Menschen auch wirklich zuhören muss, wenn sie ihren Standpunkt
darlegen, Bedürfnisse äußern, etc.
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