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Die Schwierigkeiten mit Safewords

Safewords sind unheimlich wichtig.
Safewords sind vorher vereinbarte Worte, die dafür sorgen sollen, dass Menschen eine Situation, in der sie sich nicht mehr gut/wohl fühlen, schnell und unkompliziert abbrechen können. Safewords können von jeder beteiligten Person jederzeit genutzt werden. Hierbei geht es vor allem um körperliche und seelische Unversehrtheit. In der Regel wird auch davor darüber gesprochen, was ein Safeword genau bedeutet und wie damit umgegangen werden muss. Oft beinhaltet es aber den Abbruch der Situation.

Ich.. habe mit Safewords Probleme. Nicht, weil ich das Konzept an sich problematisch finde, im Gegenteil. Mein Problem mit Safewords - und auch allen anderen Alternativen in der Richtung - ist, dass es voraussetzt, dass sich der Mensch in der Situation daran erinnern können muss.

Wenn ich eine Situation mit einem Safeword unterbrechen will, gibt es einige Dinge, an die ich in dem Moment denken muss:
a) es gibt ein Safeword
Ich muss mir jederzeit bewusst sein, dass es sich um ein Spiel handelt, das konsequenzlos abbrechbar ist. Das bedeutet auch, ich darf mich nicht zu sehr in die Fantasie fallen lassen. Das läuft teilweise aber dem eigentlichen Bedürfnis entgegen, gerade weil es bedeutet, dass alle Beteiligten sich nicht so ganz einlassen dürfen. Bottom muss immer ein gewisses Maß an Kontrolle behalten, Top muss mit der Aufmerksamkeit immer ausreichend bei sich selbst bleiben. Für manche Menschen ist das deutlich einfacher, als für andere. Nicht jeder Mensch kann das immer und zu jeder Zeit klar trennen oder die Aufmerksamkeit so teilen. Oder will das.
b) ich darf es nutzen
Ich muss wissen, dass ich ein Safeword nutzen darf. Ich muss es mir selbst erlauben können. Als Bottom spricht dagegen, gefallen zu wollen. "Es ist doch gar nicht so schlimm", "ein bisschen noch" und ähnliches sind verbreitete Gedanken. Das Bedürfnis, gut genug zu sein. Tops dagegen werden bei der Diskussion von Safewords meistens vergessen. Sie teilen aus, haben die Kontrolle, warum sollte ein Safeword also nötig werden? Auch hier kommt dann Unsicherheit dazu, oder das Gefühl, gar nicht zu dürfen, weil das Safeword nicht für mich gedacht ist, sondern für den Menschen, den ich bespiele. Natürlich ist das falsch. Aber selbst für Menschen, die das an sich wissen, ist es teils schwer, das auch wirklich zu verinnerlichen. 
c) das Safeword selbst
Ich bin geflutet von Emotionen. Vielleicht habe ich Angst, möglicherweise auch schon Panik. Vielleicht hat mich irgendwas getriggert. Vielleicht bin ich auch einfach nur überfordert von allem, was gerade passiert. Die wenigsten Menschen sind in der Lage, in einer solchen Stresssituation klar zu denken. Nicht klar denken zu können, bedeutet auch, dass es schwer ist, Worte zu finden. Geschweige denn, das, auf das wir uns geeinigt haben. Im Idealfall werden Safewords nur sehr selten gebraucht, wenn überhaupt. Das bedeutet aber auch, dass die Übung fehlt, wir uns darauf verlassen, dass das schon klappen wird - und dann in der Situation sind, dass wir plötzlich damit konfrontiert sind, dass diese Dinge in dem emotionalen Zustand, in dem wir dann sind, nicht mehr so funktionieren, wie sonst.

Am Ende ist Kink meistens eine emotionale Extremsituation, selbst, wenn das eigentliche Spiel gar nicht so heftig ist. Rationalität ist häufig einfach nicht mehr unbedingt vorhanden. Klar, idealerweise sollte mindestens Top das jederzeit haben, aber das ist etwas, das auch geübt sein muss. Und, wie gesagt, einigen Menschen fällt das leichter, als anderen. Darüber hinaus fällt das häufig gar nicht auf, bis es dann tatsächlich nötig ist. Und selbst dann geht es häufig unter, weil die Aufmerksamkeit an anderer Stelle ist.

Wenn ich Menschen erkläre, wie sie mit Safewords umgehen sollten, dann sage ich immer dazu, dass es wichtig ist, dass sie diese Dinge üben. Nicht nur in der Theorie darüber sprechen, sondern das auch tatsächlich ausprobieren. Ich betone, dass es sich leichter anhört, als es tatsächlich ist. Dass wir uns alle in der Regel nicht besonders gut einschätzen können, was emotionale Extremsituationen angeht. Und selbst, wenn wir uns schon mal in einer oder mehreren gesehen haben, bedeutet das nicht, dass es im Spiel genauso laufen wird. Außerdem sind da häufig auch noch Hemmungen, die besser schon vorher abgebaut werden sollten, soweit es geht.

Kurz: Das mit dem Safeword funktioniert möglicherweise nicht, auch wenn alles richtig gemacht wird. Es ist wichtig, sich damit zu befassen, was ist, wenn. Damit noch ein bisschen extra Vorsicht dabei ist.

Das kann jedem Menschen passieren.

Wenn darüber hinaus noch Trauma mit ins Spiel kommt, wird die ganze Sache noch deutlich komplizierter. Trauma kann sich auf unterschiedlichste Art und Weise äußern, oftmals geht es aber mit einem gewissen Kontrollverlust einher.
Ich selbst habe verinnerlicht, keine Bedürfnisse haben zu dürfen. Auch wenn ich schon sehr lange aktiv daran arbeite, ist das etwas, das immer mal wieder auftaucht. Mir persönlich fällt es eigentlich immer schwer, meine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, geschweige denn, sie auch auszudrücken. Selbst dann, wenn ich wirklich weiß, dass mein Gegenüber das anders sieht, will, dass ich auf mich achte. Ich falle dann schnell ins Fawning, versuche also, meinem Gegenüber zu gefallen. Heißt, ich mache, denke, sage, was ich glaube, dass der andere Mensch von mir erwartet oder möchte. Das hat häufig auch nicht unbedingt mit der Realität zu tun, sondern mit den Erfahrungen, die ich früher gemacht habe. Effektiv bin ich dann nicht mehr im Jetzt und Heute, gleichzeitig ist es aber schwer, das zu erkennen.

Darüber hinaus verliere ich auch meine Fähigkeit, zu sprechen, wenn ich emotional aufgewühlt, überwältigt, überfordert bin oder es mir sonst irgendwie zu viel wird. Damit einher geht auch, dass ich gesprochene Sprache nicht mehr oder nur noch bedingt verstehen kann. Ich gehe davon aus, dass das in meinem Fall auch eine Traumareaktion ist, gepaart mit der Tatsache, dass schriftliche Kommunikation für mich einfach deutlich natürlicher ist, als gesprochene.

Menschen können auch ohne Trauma non-verbal werden, wenn sie aufgewühlt sind. Kink und Sex allgemein können Menschen also temporär verstummen lassen. Nicht jeder Mensch, dem es so geht, weiß das unbedingt vorher. Für Menschen wie mich sind Safewords in der Theorie super, in der Praxis helfen sie aber meistens nicht.

Letztlich schätze ich Safewords. Aber sie geben auch eine trügerische Sicherheit. Die wenigsten von uns wissen wirklich, wie sie in Extremsituationen reagieren. Nicht für jeden funktionieren Safewords, wie sie angedacht sind. Ich finde wichtig, dass wir alle uns darüber bewusst sind und nach zusätzlichen Sicherheitsnetzen suchen, die für uns funktionieren. Damit wir jederzeit verschiedene Möglichkeiten haben und die Wahrscheinlichkeit, dass wenigstens eine davon greifen kann, steigt.

Ich fände es nicht richtig, zu sagen, dass Menschen, die das nicht sicher können, sich nicht in entsprechende Situationen begeben dürfen. Zum einen schließt das unheimlich viele Menschen aus, zum anderen ist das ableistisch. Es ist auch zu einfach, eben weil es außer Acht lässt, dass niemand das wirklich sicher wissen kann, solange Mensch nicht in der Situation gewesen ist. Und selbst dann sagt das nur bedingt etwas aus, weil kein Spiel gleich ist, und damit auch der emotionale Zustand nicht, in dem wir uns dabei befinden.

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