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Coming Out

Coming Out ist immer ein Prozess. Ein Kampf, als die Person gesehen zu werden, die ich bin. Nur, dass dieser Kampf nie aufhört. Ich habe die Wahl zwischen gesehen werden, aber dafür kämpfen müssen oder nicht kämpfen, aber unsichtbar zu sein, wobei letzteres in der Regel damit einhergeht, mich selbst zu verlieren, traumatisiert und invalidiert zu werden und so schließlich im Tod endet. Ein Tod, in den wir getrieben werden, weil von uns erwartet wird, dass wir uns verleugnen.

Nicht in die normativen Vorstellungen meiner Umgebung zu passen, bedeutet, mir jedes bisschen Raum, jede Luft zum Atmen, Anerkennung, accessibility erkämpfen zu müssen. Und dabei ständig auf Unverständnis, Zurückweisung, Vorwürfe, Ablehnung, Hass und Gewalt zu stoßen. Oft sogar von jenen, die behaupten, sie würden mich unterstützen (wollen).

Jedes Mal ist es ein Glücksspiel, wie Menschen reagieren. Die Gefahr von Gewalt ist ständig präsent - selbst wenn ich versuche, mich zu verstecken. Denn passen werde ich trotzdem nie.

Coming Out ist nie zu Ende. Für manche wird es über Zeit weniger. Für manche wird es weniger wichtig. Für viele bleibt es ein konstantes Ding. Was bleibt, ist dass wir alle jeden Tag mit tausenden Erwartungen konfrontiert werden. Menschen glauben Dinge über uns zu wissen, nur, weil sie uns einmal gesehen, gehört oder auch nur unseren Namen gelesen haben. Es ist normalisiert, überall. Wir alle treffen Annahmen über Menschen, denen wir begegnen, ohne dass die Person, über die wir sie treffen, irgendeine Kontrolle darüber hat. Und wenn diese Person diese Annahmen nicht erfüllt, sind wir feindselig ihr gegenüber, geben ihr die Schuld. Ich bin nicht frei davon, aber ich versuche, mir das immer wieder bewusst zu machen und bei mir zu bleiben. Nicht die Person für meine Annahmen zu bestrafen, sondern mein eigenes Weltbild zu hinterfragen.
Gleichzeitig bin ich jeden Tag davon betroffen. Diesen Annahmen ausgesetzt, ohne Möglichkeit, dem Ganzen zu entkommen oder es zu beeinflussen. Es ist unmöglich, nicht zu spüren, wie sehr ich nicht in ihre Annahmen passe - oft schmerzvoll, selbst, wenn sie es gut meinen.

Coming Out ist ein ständiges Brechen mit diesen Annahmen. Obwohl deine Annahmen über mich nicht zutreffen, du mich falsch einsortierst, der Fehler also bei dir liegt und ich nur die Dreistigkeit habe, zu meiner Wahrheit zu stehen, mir Platz zu machen, mir Raum schaffe, werde ich als Problem dargestellt. Als egoistisch. Als jemand, der zu viel will. Zu viel erwartet. Das Ergebnis ist, dass ich Gewalt ausgesetzt werde - jener Gewalt, die versucht, mich in die Schranken zu weisen, zurechtzustutzen, den Ausbruch aus jenen Annahmen zu verweigern und den Versuch zu bestrafen. Weil meine bloße Existenz deine Annahmen in Frage stellt und damit dein Weltbild bedroht.
Wer ist egoistisch?

Ich soll so tun, als sei ich jemand anderes. Meine Realität und mich selbst verleugnen, um dieses fragile Weltbild nicht zu erschüttern. Keine Wellen zu machen. Ich soll mich verleugnen, selbst, wenn das meinen Tod bedeutet - nur, um dein Wohlbefinden nicht zu gefährden. Damit du nicht sehen musst, dass die Welt komplexer ist, als du sie gern hättest. Oder vielleicht auch, damit du nicht damit konfrontiert bist, dass auch du ausbrechen könntest, wenn du nur mutig genug wärst. Ich soll Rücksicht auf dich nehmen, mich anpassen und einfügen. Egal zu welchem Preis.

Sag mir nochmal, wer hier egoistisch ist? Eine Gefahr für die Gesellschaft? 

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