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Sterbehilfe

Tatsächlich weiß ich nicht, warum Sterbehilfe immer noch so unheimlich verpönt ist und etwas, das auf keinen Fall passieren darf.
Manchmal frage ich mich, ob die Menschen, die am heftigsten dagegen schimpfen, schon mal Kontakt mit jemandem hatten, der in einer Situation gewesen ist, in der er sich über Sterbehilfe als Ausweg gefreut hätte.

Wie ich hier schon geschrieben habe, ist es für die allermeisten Menschen vollkommen normal und richtig, ein Tier zu "erlösen", wenn wir ihm nicht mehr helfen können und es recht sicher ist, dass es nicht mehr besser wird oder es kein angenehmes Leben mehr hat. Oftmals auch, wenn es nur nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen.
Gleichzeitig ist es bei Menschen das schlimmste Übel, unabhängig davon, wie sehr sie leiden, wie sehr sie gern sterben wollen, wie weit sie überhaupt noch leben in ihrem eigenen Empfinden. Was in beiden Situationen gleich ist: Wir meinen, dass wir besser wissen, was für diese Lebewesen richtig ist und kümmern uns nicht um ihren consent.

Ja, bei Tieren ist das vielleicht etwas schwierig. Aber hier fällt die Entscheidung manchmal viel zu leicht und kaum jemand stellt das in Frage oder verurteilt es sogar. Nicht einmal, wenn es den Tieren noch gut geht, sie aber einfach nicht mehr arbeiten können - und daher v.a. Geld kosten würden. Es geht also um Geld, Effizienz, Egoismus. Bei geliebten Haustieren dagegen sprechen wir von Liebe, wenn entschieden wird, dass wir es nicht verantworten können, sie weiter leiden zu sehen. Manchmal geht es auch hier um Geld, um Chancen, ob es sich lohnt. Manchmal wird einfach kein Weg mehr gesehen, Hilfe ist nicht mehr möglich. Man spricht von Erlösung.

Aber wenn es um Menschen geht, dann gibt es keine Erlösung.
Sie müssen sich durch ihre Existenz quälen, egal, was sie selbst gern wollen oder wie sie die Situation empfinden. Weil es "moralisch verwerflich" wäre, ihnen ihren Wunsch nach dem Tod zu erfüllen, unabhängig davon, ob man ihnen noch helfen kann. Unabhängig davon, ob sie ihre Existenz als lebenswert empfinden. Unabhängig davon, ob sie eigentlich nur noch leiden. Unabhängig von ihren eigenen Wünschen.

Gesetze und Ablaufpläne schaffen es für die absurdesten Dinge, unheimlich lange Wege zu schaffen, Steine in den Weg zu legen, es möglichst schwer zu machen, das umzusetzen, selbst wenn es möglich ist.
Allein die Schwierigkeiten für trans Personen ist ein wunderbares Beispiel dafür. Oder dass das deutsche System nicht in der Lage ist, zwei Mütter als biologische Mütter in der Geburtsurkunde zu vermerken, obwohl das offensichtlich der Fall ist.
Hilfe bei mental health Problemen, weil es nicht mehr kassenzugelassene Therapeuten geben darf, als irgendwann mal festgelegt, unabhängig davon, ob diese Zahlen in irgendeiner Weise realistisch sind oder nicht. Die Schwierigkeiten, überhaupt erstmal so weit zu kommen, nach Hilfe suchen zu können und dann auch jemanden zu finden, der dir helfen kann.
Aber dennoch gibt es so viele Stimmen, die meinen, dass es super einfach sei, faktisch gegeben, dass sich jeder einfach Sterbehilfe holen würde.

Die Argumente, die ich immer wieder höre, sind, dass Menschen Sterbehilfe ausnutzen würden und viel zu schnell an diesen Punkt kommen oder gar gebracht werden würden. Dass Ärzte, wenn sie Sterbehilfe als Möglichkeit haben, dies effektiv zu einem Therapieziel werden würde, und damit gleichberechtigt mit Therapien und Behandlungsplänen wäre. Dass ein Mensch einfach so entscheiden könnte, dass er nun sterben wolle und ein Arzt das für ihn übernehmen solle.
Was diese Argumente aber außer Acht lassen ist, dass auch Sterbehilfe sehr sicher starken Auflagen unterliegen würde. Dass es kein gleichberechtigtes Therapieziel wäre, sondern ein letzter Ausweg. Ich würde sogar anfechten, dass ein Arzt es als Therapieziel sehen würde, nachdem es gegen seinen geschworenen Eid geht, Menschen zu helfen und ihnen kein Leiden zuzufügen.
Es wäre also sehr unwahrscheinlich, dass ein Mensch "einfach so" Sterbehilfe in Anspruch nehmen könnte. Viel wahrscheinlicher ist, dass es einen Katalog an Dingen gibt, von denen eine bestimmte Anzahl zutreffen muss, um das überhaupt in Betracht zu ziehen. Dann werden vermutlich noch weitere Richtlinien existieren, die ebenfalls eingrenzen, für wen Sterbehilfe wann überhaupt zugelassen wird und wer das machen darf.
Einem Arzt zu unterstellen, dass er dann nicht mehr seinen Job tun würde, und Sterbehilfe "einfach so" anbieten, ohne vorherige Bemühungen, dem Menschen anders zu helfen, unterstellt ihnen effektiv auch, dass sie ihren Job nicht gut machen und nicht verantwortungsvoll mit ihrer Verantwortung umgehen - und das wäre schon heute ein Problem, denn auch wenn wir keine Sterbehilfe haben, so doch sehr viele sehr schwerwiegende, risikoreiche Eingriffe, die teils tödlich enden.

Aber hey, es ist viel populistischer und wirksamer, einfach nur zu verleumden und zu verurteilen. Vor allem, wenn es um solchermaßen emotional aufgeladene und moralisch umstrittene Dinge geht.
Ich bin davon überzeugt, dass zu Menschenwürde auch gehört, selbst entscheiden zu dürfen, nicht mehr leben zu wollen. Dass dazu gehört, nicht monatelang im Bett zu liegen, nichts mehr tun zu können, hilflos ausgeliefert zu sein, kaum noch etwas um sich herum mitzubekommen, und mehrmals um den Tod zu bitten, aber nicht mehr in der Lage zu sein, das selbst zu tun, und jenen ausgeliefert zu sein, die sich um dich kümmern sollen und meinen, dass du nicht sterben darfst, auch wenn du nicht mehr lebst. Sie zu hören, wie sie sich darüber unterhalten, dass sie das nicht wollen würden, und dennoch gezwungen zu sein, in dieser Situation zu verharren, hilflos, unter Schmerzen, klar, dass niemand helfen kann und darauf wartend, dass der Tod endlich kommt, weil niemand dich erlösen will.
Makaber? Ja. Aber auch mitfühlend und nicht moralisch überheblich.

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